Sterntagebücher
oder wie jenes eigenartige, am ganzen Leib kahle Exemplar, das von Grammpluss im dunkelsten Winkel unserer Galaxis beobachtet wurde – Monstroteratus Furiosus (Gräßel-Wüterich), der sich selbst Homo Sapiens nennt.«
Im Saal erhob sich ein gewaltiger Lärm. Der Vorsitzende setzte die Maschine mit dem Hammer in Gang.
»Nicht unterkriegen lassen!« zischte der Tarrakaner mir zu. Ich sah ihn nicht, wegen des starken Scheins der Jupiterlampen, vielleicht auch, weil mir der Schweiß den Blick trübte. Eine schwache Hoffnung kam in mir auf, denn jemand verlangte in einer formalen Frage das Wort. Nachdem er sich den Versammelten als Mitglied der Delegation des Wassermanns und zugleich als Astrozoologe vorgestellt hatte, begann er mit dem Thubaner ein Streitgespräch. Leider nur insofern, als er – ein Anhänger der Schule Professor Hagranaps’ – die dargelegte Klassifizierung für ungenau hielt. Er unterschied nämlich, seinem Meister folgend, eine besondere Ord nung Degeneratores, zu der die Vielfraße, die Wenigschlucker, die Leichenkneifer und die Totenkoser gehörten. Die Bezeichnung »Monstroteratus« hielt er, auf den Menschen angewandt, für falsch; man solle sich lieber der Nomenklatur der Wassermannschule bedienen, die konsequent den Terminus Künstel-Schrecker (Artefactum Abhorrens) benutze. Nach einem kurzen Meinungsaustausch fuhr der Thubaner in seiner Ansprache fort:
»Der ehrbare Vertreter Tarrakaniens, der uns die Kandidatur des sogenannten vernunftbegabten Menschen oder – um exakter zu sein – des Wüterich-Schreckers, eines typischen Vertreters der Leichenspieler, empfahl, hat in seiner Rekommandation nicht das Wort ›Eiweiß‹ erwähnt, das er für unanständig hält. Gewiß weckt es Assoziationen, über die mich auszulassen der Anstand verbietet. Freilich, der Besitz SELBST eines solchen körperlichen Bauelements schändet nicht. (Rufe: »Hört! Hört!«) Nicht um das Eiweiß geht es. Auch nicht darum, daß man sich, obwohl ein rasender Leichenspieler, mit der Bezeichnung vernunftbegabter Mensch bedenkt. Das ist schließlich eine Schwäche, die man begreifen, obschon nicht verzeihen kann, eine Schwäche, die von Eigenliebe diktiert ist. Nicht darum geht es, Hohe Ratschaft!«
Meine Aufmerksamkeit ließ immer wieder nach, sie schwand wie das Bewußtsein eines in Ohnmacht Fallenden – nur Fetzen erreichten mich.
»Selbst die Fleischfresserei ist niemandes Schuld, da sie sich im Gefolge einer natürlichen Evolution ergab. Immerhin sind die Unterschiede, die den sogenannten Menschen von seinen tierischen Verwandten trennen, nahezu gleich Null. Ähnlich, wie eine an Wuchs HÖHERE Person nicht annehmen darf, daß diese Überlegenheit ihr das Recht gibt, die an Wuchs NIEDRIGEREN zu fressen, so darf auch der mit etwas HÖHEREM Verstand Begabte nicht morden und fressen, und wenn er das schon tun muß (Rufe: »Er muß nicht! Soll er Spinat essen!«) – wenn er, sage ich, das MUSS, auf Grund einer tragischen erblichen Belastung, dann sollte er die blutigen Opfer in Angst, im geheimen, in seinen Erdlöchern und in den dunkelsten Winkeln der Höhlen verschlingen, gequält von Gewissensbissen und von Verzweiflung und in der Hoffnung, daß es ihm einst gelingen werde, sich von der Last dieser unaufhörlichen Morde zu befreien. Leider verhält sich Gräßel-Wüterich nicht so. Er entehrt die sterblichen Reste, er würgt sie und kugelt sie, er spielt mit ihnen, und erst später verschlingt er sie bei öffentlichen Fütterungen, inmitten von herumhüpfenden entblößten Weibchen seiner Art, weil das seinen Appetit auf die Verstorbenen steigert, aber die Notwendigkeit, diesem Zustand abzuhelfen, der nachgerade zur gesamten Milchstraße schreit, kommt ihm nicht einmal in seinen halbflüssigen Kopf. Im Gegenteil, er hat sich höhere Rechtfertigungen geschaffen, die zwischen seinem Magen, dieser Gruft ungezählter Opfer, und der Unendlichkeit gelagert sind und ihn befähigen, mit erhobener Stirn zu morden. Nur soviel, um der Hohen Versammlung nicht die Zeit zu rauben, zur Beschäftigung und zu den Bräuchen des sogenannten vernunftbegabten Menschen. Unter seinen Vorfahren schien einer gewisse Hoffnungen aufkommen zu lassen. Das war die Gattung homo neandertalensis. Es lohnt, sich mit ihm zu befassen. Dem heutigen Menschen ähnlich, hatte er ein größeres Schädelvolumen und somit auch ein größeres Hirn. Ein Pilzsammler, zur Meditation neigend, verliebt in die Künste, sanft,
Weitere Kostenlose Bücher