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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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phlegmatisch, verdiente er zweifellos, daß seine Mitgliedschaft in dieser Hohen Organisation heute erwogen würde. Leider weilt er nicht mehr unter den Lebenden. Möchte nicht der Delegierte der Erde, den als Gast zu begrüßen wir hier die Ehre haben, uns sagen, was aus dem so kulturbeflissenen sympathischen Neandertaler geworden ist? Er schweigt, somit werde ich für ihn antworten: Er wurde restlos ausgerottet, weggewischt von der Oberfläche der Erde durch den sogenannten homo sapiens. Die Niedertracht des Brudermordes genügte noch nicht, denn die irdischen Wissenschaftler gingen daran, das vernichtete Opfer anzuschwärzen, indem sie sich selbst und nicht ihm – dem Großhirnigen – den größeren Verstand zuschrieben. Nun weilt unter uns, in diesem ehrwürdigen Saal, in diesen erhabenen Wänden, der Repräsentant der Leichenfresser, einfallsreich, wenn es um mörderische Freuden geht, ein sinnreicher Ar chitekt von Vernichtungsmitteln, dessen Äußeres zugleich Lachen und Schaudern hervorruft, das wir kaum unterdrücken können, ja, dort, auf der bisher unbefleckten weißen Bank, sehen wir ein Wesen, das nicht einmal den Mut eines konsequenten Verbrechers besitzt, denn es versieht die mit den Spuren seiner Morde gekennzeichnete Karriere ununterbrochen mit der Schönheit falscher Namen, deren schreckliche, wahrhaftige Bedeutung jeder objektive Erforscher der Sternenrassen zu entschlüsseln vermag. So, Hohe Ratschaft…«
      Eigentlich drangen aus dieser zweistündigen Rede nur Bruchstücke zu mir, aber die genügten vollauf. Der Thubaner malte das Bild von Ungeheuern, die sich im Blute wälzen, und er tat das ohne Eile, indem er systematisch immer neue, auf dem Pult eigens zurechtgelegte gelehrte Bücher, Annalen, Chroniken aufschlug und die bereits benutzten auf den Boden schleuderte, als werde er plötzlich von Abscheu gegen sie gepackt, als klebten selbst die Blätter, die uns beschrieben, von dem Blut der Opfer zusammen. Nun ging er zu unserer zivilisierten Geschichte über: Er erzählte von Massakern, Pogromen, Kriegen, Kreuzzügen, Massenmorden, er stellte auf Tafeln und mit einem Epidiaskop die Technologien der Verbrechen und die altertümlichen und mittelalterlichen Torturen dar, und als er zur Gegenwart überging, rollten ihm sechzehn Diener auf Handwagen, die sich unter der Last bogen, Stöße neuen Faktenmaterials heran. Andere Bedienstete, die Sanitäter der OVP, leisteten unterdessen aus kleinen Hubschraubern den Scharen ermatteter Zuhörer dieses Referats Erste Hilfe, wobei sie nur mich ausließen, in der einfältigen Annahme, die Sintflut blutiger Informationen über die irdische Kultur schade mir nicht im geringsten. Und doch begann ich etwa in der Mitte dieser Ansprache, wie an der Grenze eines Wahns, mich vor mir selbst zu fürchten, als sei ich in der Menge der Maskarone und sonstiger sonderbarer Wesen, die mich umgaben, das einzige Ungeheuer. Ich dachte schon, diese schreckliche Anklagerede werde nie mehr enden, da fielen die Worte: »Und nun mag die Hohe Versammlung zur Ab stimmung über den Antrag der tarrakanischen Delegation schreiten!«
      Der Saal erstarrte in tödlichem Schweigen, bis sich plötzlich neben mir etwas regte. Das war der Tarrakaner, der aufgestanden war, um wenigstens einige der Vorwürfe zu entkräften. Der Unselige! Er stürzte mich vollends ins Unglück, als er der Versammlung zu versichern suchte, daß die Menschheit die Neandertaler als ehrwürdige Ahnen betrachte, die ganz von selbst umgekommen seien. Der Thubaner nagelte sogleich meinen Verteidiger mit einer treffenden, unmittelbar an mich gerichteten Frage fest: Ob es denn auf der Erde als ein Lob oder als ein beleidigendes Epitheton angesehen werde, wenn man jemanden einen Neandertaler nenne.
      Ich dachte, nun sei alles zu Ende, für immer verloren, glaubte, mich sogleich zurück zur Erde begeben zu müssen, wie ein Hund, den man in die Hütte jagt, weil man ihm einen erwürgten Vogel aus den Zähnen gerissen hat. Da hörte ich in dem schwachen Gemurmel des Saals den Vorsitzenden, der sich zum Mikrophon neigte, sagen: »Ich erteile dem Vertreter der eridanischen Delegation das Wort.«
      Der Eridaner war klein, silbrigweiß und prall wie ein Nebelballen, der von einem schrägen Strahl der winterlichen Sonne getroffen wird.
      »Ich möchte fragen«, sagte er, »wer denn die Aufnahmegebühr der Erdbewohner bezahlen wird. Sie selbst? Immerhin ist sie nicht unbeträchtlich – eine Billion Tonnen Platin

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