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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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halb tot und halb lebend und brauchte einen anderen Körper, in dem er nisten konnte, denn wer wußte schon, wie es zuging mit dem Leben und dem Tod.
    Er kochte Kaffee, dann ging er herum und suchte Robins Spuren. Da waren die Fotos und ein Zettel, auf dem in Robins Handschrift stand: 100, - am 11. Mai, von Dorian an Robin Kammer. Ja, er war ordentlich gewesen, wollte immer alles quittieren und mit seinem merkwürdigen Kürzel unterschreiben, RoKa. Er hatte Listen geführt, die er To-Do’s nannte, da stand dann drauf, was er einkaufen wollte, was er vorhatte oder welche Songs ihm im Radio gefielen. Einmal rief er sogar beim Sender an, weil er wissen wollte, wie das Stück hieß, das sie gerade spielten, kannste mal buchstabieren? Doch besaß er keinen CD-Player. Einen Walkman hatte er, der war ihm gestohlen worden.
    Robbi, du hast mir die hundert Mark nie zurückgegeben. Jetzt geht das auch nicht mehr.
    Er breitete die Fotos auf dem Boden aus und legte die schönsten in die Mitte, das Sternenbild, auf dem Robin nicht vollständig war und nur als Schatten hinter seiner Mutter stand, und jenes andere aus dem Dorf, als er eine riesige Kuh anlachte.
    Zwerg, hatte Katja ihn früher genannt, mein Zwergelchen.
    Einmal, während eines Konzertes, hatten sie hinter der Bühne mit Pingpongbällen gespielt, und noch immer konnte er das Ploppplopp der kleinen hüpfenden Dinger hören, das sich mit der mikrofonverstärkten Stimme ihrer Mutter vermischte und später mit dem Johlen und Trampeln der Leute im Saal. Robin weinte, als nach dem Auftritt der ganze Bühnenraum voller lärmender und lachender Menschen war und er seinen Ball nicht mehr fand. »Du kriegst neue«, rief Katja, »hunderttausend Bälle für mein Zwergelchen.« Umringt von Musikern und Fans lehnte sie an der Wand und drückte sich eine Bierflasche gegen die Stirn, erschöpft vielleicht, weil es auf der Bühne, unter den Scheinwerfern, so heiß gewesen war. Damals hatte das Dorian kaum interessiert. Er war zu jung gewesen und zu dumm und fing ja erst an zu begreifen, als er Jahre später ein Konzert seiner Mutter auf Video sah. Heute wollte er das alles noch einmal erleben, den Applaus, den Jubel und die Musik, doch viel wacher jetzt, bewußter. Damals hatte er mit seinen Pingpongbällen nur darauf gewartet, daß sie zurückkam, um mit ihm zu spielen.
    Er schüttelte den Kopf. Robin war das alles egal gewesen.
    Der tote Robin auf dem Friedhof hatte fast so ausgesehen wie der Robin, der später aus dem Leichenhaus kam, nicht richtig tot, nur müde, jedenfalls hatte er unter der Decke so ausgesehen, weil man da seine Wunden nicht sah. Es mußte ein einzelner Mensch gewesen sein, der ihn unter den Achseln packte und über den Friedhof zu den Gräbern hinzog, denn da waren Schleifspuren gewesen im Gras. Hatten die Kommissare sie gesehen? Als er die Nummer wählte, hörte er ein leises Geraune in seinem Kopf; »Ist ja gut«, flüsterte er, »ich muß jetzt anrufen, sonst denken sie noch, es interessiert mich nicht.«
    Sie war schon da. Die Kommissarin meldete sich mit »Mordkommission Henkel«, was nicht unfreundlich klang, aber auch nicht so, als würde sie gleich noch hinterherflöten: Was kann ich für Sie tun? Sicher, sie hatte die Schleifspuren gesehen, und die Techniker waren dabei, alles zu untersuchen. »Wir sind erst am Anfang«, sagte sie. Ihre Stimme klang anders am Telefon, dunkler und träge.
    »Wart ihr schon bei den Tillmanns?« fragte Dorian.
    Sie nuschelte etwas, das wie »Noch nicht« klang, dann war es eine Weile still, bis sie wissen wollte: »Dorian, wo wohnt deine Mutter?«
    Er schloß die Augen und tänzelte ein wenig hin und her. Auf den alten Fotos konnte man erkennen, wie bunt und voll ihr Haus in diesem Dorf gewesen war, da hingen sogar kleine Teppiche an den Wänden, neben den Bildern des Fotografen. Auch die Wohnung im Ostend war schön, mit drei riesigen Zimmern, in denen ihre Stimmen hallten. Ihre Hotelzimmer am Bahnhof hatte Katja aber nie geschmückt, da waren ja auch nur fremde Möbel gewesen, in denen andere Menschen vor ihnen und wieder andere nach ihnen wohnten.
    »Die Adresse, die du mir gegeben hast, stimmt nicht mehr.«
    Ja, Ina hatte eine wirklich tolle Stimme am Telefon, auch Robin kriegte das mit. Anscheinend konnte man gut hören, wenn man in einem anderen Körper steckte; Robin kicherte und meinte, die Tussi könnte Telefonsex machen. Dorian stellte sich vor, wie sie Telefonsex machte, während sie die Unterhosen ihres

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