Sterntaucher
noch einen Bruder.« Er schüttelte den Kopf. »Der Kleine war der Clevere, Robin. Der andere, Dorian, ist ein bißchen –« Er fing an, mit den Fingern auf den Tisch zu klopfen. »Schon der Name. Mit dem Namen Dorian wird man entweder schwul oder blöd. Na ja, schwul ist er nicht, hier gaben sich die Mädels die Klinke in die Hand. Haben wir ihm auch nie reingeredet, solange sich das in seinem Zimmer abspielte.« Er seufzte. »Kennen Sie ihn? Ist doch gewissermaßen ein Kollege von Ihnen.«
»Nicht nur gewissermaßen«, sagte Kissel.
»Ja, die Polizei nimmt jeden.« Tillmann hustete. »Ich hab’s ihm nicht ausreden können, hab zu ihm gesagt, da verdienst du doch nichts. Aber er wollte ja unbedingt zur Polizei. Kam vom einen auf den anderen Tag damit an, und es war nichts mehr zu machen.«
»Renitent.« Regine Tillmann beugte sich vor. »Dorian«, fügte sie hinzu. »Stur wie ein Panzer. Robin hat sich immer besser durchmanövriert, auch in der Schule. Wenn wir die beiden damals nicht aufgenommen hätten, wären die doch unter die Räder gekommen.« Sie wollte ihre Zigarette ausdrücken und traf die Tischplatte. »Bei der Mutter.« Sie befeuchtete einen Finger und tupfte den Fleck vom Holz. »Sicher kennen Sie die Mutter nicht.«
»Wo wohnt sie?« fragte Ina.
Regine Tillmann machte ein Geräusch, das wohl ein böses Lachen werden sollte. »Die hat sich nicht mehr gemeldet.«
»Sie haben keine Adresse?«
»Adresse? Nein, Sie etwa?« Tillmann sprang auf. »Ich sag Ihnen was, das fällt in Ihr Ressort.« Er trat in die Mitte des Zimmers, wo er sich in Positur stellte wie ein Fernsehkandidat vor dem Traumgewinn. »Die Kammer! Ich erstatte Anzeige.«
»Wirklich?« Kissel lehnte sich zurück. »Erzählen Sie mal.«
Tillmann atmete schwer, und seine Augen glänzten. Langsam sagte er: »Ich fange vorne an.«
»Wäre ratsam«, sagte Kissel.
»Sie hat ihre Kinder im Stich gelassen. Sie hat die Steuer beschissen, hat alles mögliche gemacht.« Tillmanns Gesicht hatte sich gerötet. »Sie hat ihr ganzes Geld durchgebracht damals, hat ja ein bißchen was verdient mit ihren Liedchen, wollte aber keinen Manager, hat gemeint, sie könnte alles alleine. Dann war sie zu doof, Steuern zu zahlen, ich will ihr gar nicht unterstellen, daß sie am Anfang bewußt betrogen hat, es ist ihr einfach nicht eingefallen, können Sie sich das vorstellen? Dann kriegt sie ein Verfahren und schreibt zurück, daß in Finanzämtern ja sowieso nur traurige Leute mit Neidkomplex arbeiten. Das ist zwar richtig, aber bitte, das sagt man nicht laut und schreibt es auch nicht. Sie hat sich dann erkundigt, für was ihre Steuern eigentlich verwendet werden, und dann fing sie an, bewußt zu betrügen, sagt, nein, dafür und dafür zahle ich keine Steuern, diesen Scheiß unterstütze ich nicht. Hirnrissig. Bekam sie halt noch ein Verfahren. Sie hat Kokain und Tabletten und was weiß ich alles genommen und –« Er schnappte nach Luft.
»Und?« wiederholte Ina.
Tillmann ballte die Finger zur Faust. »Und jetzt das. Der Junge.« Er knöpfte seinen Hemdkragen auf und setzte sich wieder. »Ich kannte die Kammer früher, ich war mal im Musikgeschäft, aber das war mir auf Dauer zu oberflächlich, und ich habe mich anderen Geschäftsfeldern – ja.« Er schien den Faden zu verlieren, sah eine Weile auf den Tisch und schob dann eine leere Tasse in die Mitte, als hätte das jetzt sein müssen. »Sie hat mich gefragt, ob wir ihre Jungen eine Weile in Pflege nehmen könnten, höchstens für ein Jahr. Den Grund hat sie nie genannt. Wir sind damals gerade in dieses Haus hier gezogen, das fand sie günstig. Sie hat gleich dazugesagt, daß ich dafür auch Staatsknete bekäme, das waren ihre Worte. Na ja, das ging dann alles seinen Gang, das Jugendamt war da, hat sich hier umgesehen, und wir wurden offiziell zu Pflegeeltern, na warum nicht, haben wir gedacht, ist ja nur für eine Zeit. Eigene Kinder sind uns nicht, ehm – haben wir keine.« Er stieß die Luft durch die Nase. »Aber dann war sie verschollen, die Gute.«
»Sie kam her«, sagte Regine Tillmann, »brachte die Kinder, drehte sich an der Haustür um und ging.«
»Ganz genau.« Tillmann nickte.
»Die Jungs hatten aber doch wieder Kontakt mit ihr«, sagte Ina. »Oder nicht?«
»Wer sagt das, Dorian?«
»Hatten sie Kontakt mit ihr oder nicht?«
Tillmann wurde laut. »Hier in diesem Haus hat die sich nicht gemeldet.« Er fing an, seine Worte durch rhythmisches Klopfen auf die Tischplatte zu
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