Sterntaucher
den Sternenlosen Himmel ab oder lauschte in die Nacht, ob jemand hinter ihm war. Stille, und nur der eigene Herzschlag in den Ohren. Ina hatte ihre Waffe in die Jackentasche geschoben; sie trug sie gewöhnlich in der Schultertasche, wo sie gar nicht sein durfte, aber es konnte doch kein Mensch verlangen, daß sie unförmige Ökotantensachen trug, nur damit man das Holster nicht sah. Sie hatte sie entsichert und sich verflucht dafür, aber es war eine Scheißgegend hier, und sie sah nur Dorians blondes Haar. Er tänzelte hin und her, und sie hörte ihn murmeln, dann griff er in das Innere seiner Jacke, und ein Lichtstrahl überflutete den Weg. Polizisten trugen Taschenlampen mit sich herum, auch wenn sie nicht im Dienst waren oder längst als Pensionäre Zeitung lasen; Polizisten trugen Taschenlampen wie Schulkinder ihr Handy.
Er drehte sich um. Wie ein Fremdkörper hing sein Arm herab und füllte den Boden mit Licht. Starrte er zu ihr hin? Was war los mit ihm? Er kam auf sie zu. Sie blieb, wo sie war, und umklammerte den Griff ihrer Waffe, doch sie holte sie nicht heraus. Der tat doch nichts, der suchte etwas; Dorian, wollte sie sagen, erzähl mir, was los ist, das ist doch nicht okay, hier herumzustromern, in dieser Gegend hier, fast in der Nacht. Er blieb stehen, starrte in ihre Richtung – er war Polizeibeamter, okay? Kein Grund, hier nervös zu werden, hinter einem Strauch auf modrigem Gelände stehend, das ziemlich gut geeignet war, um Leichen loszuwerden.
Der Hammermörder war auch Polizeibeamter gewesen.
Dorian ging zurück, als hätte er Angst bekommen, hatte er sie gesehen? Ihr Körper war schwerer geworden. Sie wollte auf ihn zugehen, ihn ansprechen, als sie ihn einen kleinen Sprung machen sah. Nach links ging er jetzt, an den Büschen vorbei, hinter die sich doch zu dieser Zeit ein normaler Mensch gar nicht traute. Er schlich weiter, bis sie ihn nicht mehr sah, doch da war das Licht. Da war auch die Waffe in ihrer Jackentasche und das Brennen in ihrem Innern, eine Mischung aus Neugier und Angst. Was machst du da, wo willst du hin? Sie ging ein Stück weiter und beobachtete das Licht. Als es sich nicht mehr bewegte, überquerte sie den Weg wie ein huschendes Kaninchen, um von der anderen Seite an ihn heranzukommen. Jetzt würde sie ihn ansprechen müssen, weil sie sicher war, daß er sie bemerkte, doch als sie ihn sah, kam er ihr wie ein kleiner Junge vor, der im Sandkasten spielte und nichts mehr wußte von der Welt. Bübchen im Sand, hat keine Schaufel, nur die Hand.
Zwischen zwei Büschen kniete er und spielte mit einer Hand in der Erde. Das Licht seiner Lampe fiel auf eine unebene Stelle, die aussah, als hätte man einen Hügel flachgeklopft, irgendwann einmal, vor Jahren. Aufgeschüttete Erde, man grub ein Loch, verscharrte etwas, schüttete das Loch wieder zu. Was vergrub man denn, Schätze, Lösegeld, Leichen. Er fuhr mit der Hand darüber, hob Erde auf und ließ sie zwischen den Fingern rieseln, Förmchen, Töpfchen, Kuchenbacken. Regenwürmer ausgraben, Mama zeigen, staunen. Ina lehnte sich gegen einen Baum, und es war ihr egal, ob er sie jetzt sah. Er flüsterte, wie man es manchmal auf Friedhöfen tat, wenn man den Toten noch etwas sagen wollte, wenn man sie ansprach, weil man wußte, daß sie da lagen. Lag hier jemand? Das war ein Ort für Leichen. Sie wollte ihn ansprechen, doch sie konnte sich nicht bewegen. Sie konnte auch nicht reden, noch nicht einmal hassen.
Als er aufstand, glaubte sie, seine leise Stimme noch zu hören, bevor er Dreck von den Hosenbeinen klopfte, als sei er in der Welt wieder angekommen. Sie rührte sich nicht, sah ihm blinzelnd hinterher und stand noch reglos da, als sie das Licht seiner Lampe längst nicht mehr sah. Irgendwann nahm sie ihre eigene, Polizisten trugen Taschenlampen, und sah dem zitternden Licht hinterher, wie es über eine unauffällige Erhebung glitt, auf deren verkrusteter Erde ein frisch hingemaltes Kreuz erschien.
Nein. Nicht das.
Kannst doch nicht weg sein, einfach so, kannst doch nicht – Im Wagen drehte sie die Musik so weit auf, daß sie an den Ampeln herüberglotzten. Schlagzeug und Baß und schreiende Gitarren, gut, ja, fegt mir das Hirn weg für alle Zeit. Sie raste durch Pfützen, ging auch an einer Bushaltestelle nicht vom Gas und sah im Rückspiegel eine hüpfende Frau an sich heruntergucken. Der gute Mantel: über und über, die neuen Schuhe: du Sau. Eine Faust hob sich drohend in die Luft, egal, es gab Schlimmeres. Als sie vor
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