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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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hysterisch, verstehst du? Ich krieg ja schon einen Horror, wenn du abends mal spät von der Schicht kommst. Wenn ich an so einem dämlichen Müllberg vorbeikomme, fällt mir als erstes ’ne Leiche ein, die da liegen könnte, ich meine, da haben natürlich schon Leichen gelegen, aber ich denk das jedesmal. Ich seh die direkt, selbst wenn wir Spazierengehen, im Wald oder so, hinter Büschen –« Sie sah ihn an und fand ihn wunderschön. Nachts auf dunklen Parkplätzen packte sie ihn bei jedem Geräusch, nicht, um sich schützend an ihn zu klammern, sondern um ihn aus der Schußlinie zu bringen.
    »Ich würd durchdrehen«, murmelte sie, »mit einem Kind. Dauernd würd ich denken, dem passiert was. Ich war ja schon zu blöd, mit deinem kleinen Neffen im Park zu spazieren, dem Niklas. Den hab ich so fest angepackt, daß er sich dauernd losreißen wollte und gebrüllt hat wie am Spieß.«
    »Der kann alleine laufen, der ist vier.«
    »Ja, aber ich wollte das nicht, ich sag doch –«
    »Das ist alles wegen deiner Drecksarbeit da. Frauen sollten da nicht sein, bei der Mordkommission.«
    »Du wirst gehen«, murmelte sie. »Eines Tages bist du weg, kommst ja aus einer Großfamilie, bist das alles gewöhnt, und ich seh dich doch mit deinen tausend Nichten und Neffen. Irgendwann suchst du dir ’ne Tussi, die nicht so blöd ist wie ich, die wirft dir dann eins nach dem anderen.«
    »Nö«, sagte er nur. »Glaub ich nicht.«
    »Gib’s doch zu, verdammt.«
    »Nein.« Er lachte, und als sie die Tränen herunterschluckte, tätschelte er ihren Rücken, als bereite er sich dennoch schon vor auf ein quengeliges Gör. »Hast ja noch fünf Jahre Zeit zu überlegen«, sagte er. »Oder vier. Mit fünfunddreißig biste dann zu alt.«
    »Du nicht?« fragte sie. »Bist noch einen Monat älter.«
    »Nein, bei Männern ist das nicht so schlimm.«
    »Echt?«
    Doch sie stritten nicht. In einer Dorfkneipe, in der ein paar alte Männer beim Kartenspiel saßen, bestellte er erwartungsgemäß den Schweinebraten, und sie verzichtete darauf, etwas zu sagen, als er für sie gleich mitbestellte. Die Wirtin hier, steif hinterm Tresen stehend, ihre kleine Gästeschar beäugend, erinnerte sie an die Hufnagel aus dem Taubenschlag. Nein, die Hufnagel sah aber nie richtig hin, oder? Die starrte ins Leere hinein.
    »Iß doch«, sagte Tom.
    »Die Sau war arg fett, nicht?«
    »Wer?« Er drehte sich um.
    »Das Fleisch«, zischte sie.
    »Nö, ist gut.«
    Ja klar. Sie schob die Gabel hin und her und sah sich die kitschigen Bilder an, Berge, Blumen und Schäferhunde. Hatte auch Katja diese Angst, daß jeden Tag etwas geschehen könnte, jede Nacht, in der die Kinder in ihren Betten lagen und vielleicht erstickten? Nein, früher war sie furchtlos gewesen. Sie erzählte Tom davon, daß diese Frau hier gelebt hatte, diese Sängerin, weißt du? Ihre Kinder nahm sie mit, wohin sie auch ging, zu Konzerten und zu Proben, und sicher war sie auch mit ihnen hierhergekommen, in diese stille Kneipe, in der alte Männer die Köpfe hoben bei jedem Geräusch an der Tür.
    Du hast es hier keine fünf Minuten ausgehalten, Katja, stimmt’s?
    »Ist nicht richtig«, nuschelte Tom mit vollem Mund. »Konzerte sind doch abends, und da gibt’s Drogen und all das, ist es laut. Wenn die ihre Kinder da mitschleppt, gehört die geprügelt.«
    »Die hat anders gedacht«, sagte sie. »Anders gelebt.«
    »Ja, glaub ich.« Er tippte sich an die Stirn. »So überkandidelte Weiber sollten keine Kinder haben dürfen.«
    Doch sie stritten nicht. Erst später fingen sie damit an, als sie das Haus sahen, das hinter einer kleinen Hecke so unscheinbar wie alle anderen dastand. »Heute ist Sonntag«, sagte Tom. »Kannste mit dem Scheiß nicht mal aufhören?«
    Bloß ein graues Haus. Ein schmaler Weg führte daran vorbei, auf dem vielleicht das Bild entstanden war, das Katja mit ihren Jungs unter den Sternen zeigte. Ina sprach eine Frau an, die eine Gießkanne schleppte, als wären Steine drin. Unwirsch sah sie hoch, bevor sie die Kanne behutsam auf den Boden stellte. Zwei Meter abseits machte Tom ein böses Gesicht.
    »Hier hat einmal eine Frau Kammer gewohnt«, sagte Ina. »Können Sie sich erinnern?«
    »Wer soll das sein?«
    Frage, Gegenfrage, neuer Versuch. »Sie hatte zwei kleine Jungs, kam aus der Stadt.« Das merkten sie sich doch, da wußten sie Bescheid. Wer aus der Stadt kam, den hatten sie im Visier.
    Die Frau nickte. »Die mit dem Rauschgift. Die ist schon lange weg.«
    »Ja«, sagte Ina.

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