"Die Bombe is' eh im Koffer"
Zündstoff
Tja, Nitroglyzerin. Was soll man dazu sagen?
Wenn’s hochgeht, ist man besser woanders.
Klar, das ist bei jedem Sprengstoff so. Sprengstoff ist immer scheiße. Aber manche Sprengstoffe sind scheißer als andere.
Wenn man mal eine Liste aufstellt mit Sprengstoffen, und unten schreibt man die Sprengstoffe hin, die scheiße sind, und oben schreibt man die auf, die ganz furchtbar extreme Riesenscheiße sind, dann ist Nitroglyzerin ein hervorragender Kandidat für die Spitzenposition.
Das liegt an der Verbindung von Wumms und Upps.
Nitroglyzerin hat viel Wumms. Fachleute messen das mit der Detonationsgeschwindigkeit. Die Detonationsgeschwindigkeit ist die Geschwindigkeit, mit der man weglaufen sollte, wenn neben einem Sprengstoff hochgeht. Die ist generell ziemlich hoch. Wenn der Sprengstoff zum Beispiel das gute alte Schwarzpulver ist, empfiehlt sich eine Weglaufgeschwindigkeit von einem Kilometer pro Sekunde. Also 3600 Kilometer pro Stunde. Wer langsamer ist, muss sich nicht schämen. Aber er kann gleich sitzen bleiben.
Mit Nitroglyzerin ist es etwa das Gleiche. Nur neunmal schneller.
Aber das wirklich Üble am Nitroglyzerin ist nicht das Wumms.
Es ist das Upps.
Neben einem Sprengstoff wie C4 zum Beispiel kann man essen, fernsehen, schlafen, campen, alles. Man kann einen Dreijährigen danebensetzen, dem man einen Heimwerkerhammer zum Spielen in die Hand drückt, da passiert nichts. Man kann sogar einstweilen einen Happen essen gehen und hinterher noch einen schönen Espresso trinken, und wenn man zurückkommt, ist noch immer alles in bester Ordnung.
Bei Nitroglyzerin nimmt man dem Dreijährigen den Hammer besser aus der Hand, schnallt ihn hundert Meter weiter weg in einen Kindersitz und betet, dass ihm der Schnuller nicht aus dem Mund auf den Boden fällt.
Wegen der Erschütterung.
Upps.
Aber wir haben bei den beiden Jungs eigentlich auch nicht unbedingt mit Nitroglyzerin gerechnet. Es ist natürlich unser Job, mit allem zu rechnen, aber Nitroglyzerin ist nicht gerade der Standard.
Wir sind 1500. Wir sind Luftsicherheitsassistenten. Wir sind die Männer und Frauen, die Ihnen vor dem Abflug ans Handgepäck gehen. Die sagen, welches Duschbad mitdarf und welches Shampoo nicht. Ihnen und 53 Millionen anderen Menschen, die jedes Jahr vom Frankfurter Flughafen abfliegen. Das sind um die 145 000 Leute an jedem schönen neuen Tag. Wir kontrollieren 365-mal im Jahr die Einwohnerzahl von Darmstadt. Oder von Potsdam. Knapp zwei Jahre lang gehörte ich dazu. Knapp zwei Jahre lang gehörten Menschen wie diese beiden Jungs zu meiner Stammkundschaft.
Sie waren Mitte zwanzig. Sie trugen Freizeitklamotten: Jeans, Cowboystiefel, Karohemden, Jeansjacken. Nichts Besonderes. Das Gepäck war schon seltsamer. Sie hatten Laptops dabei. Und Kulturbeutel. Aber auch dabei hätten wir uns noch nicht mal was gedacht. Es gehört schon mehr dazu, um uns skeptisch zu machen. Bei 53 Millionen Fluggästen im Jahr zieht man nicht nur deshalb einen Reisenden raus, weil der glaubt, man bräuchte im Leben außer einem Laptop nur noch eine Zahnbürste.
Es waren ihre Blicke.
Manche Menschen gucken nervös. Manche gucken betont gleichmütig. Manche gucken komplett ahnungslos, und manchen strahlt die Flugangst bereits jetzt aus dem Gesicht. Manche gucken so, wie man eben guckt, wenn die Anzeigetafel blinkend mitteilt, dass die eigene Maschine schon längst mit dem Boarding begonnen hat. Doch diese zwei guckten anders. Sie guckten cool, arrogant wie Clint Eastwood in » Dirty Harry«. Und dazwischen immer wieder nervös wie ein » DSDS «-Kandidat vor Dieter Bohlen.
Wir sahen uns an. Keiner in meinem Viererteam sagte etwas. Aber jeder wusste:
Wir filzen die beiden. Hundertprozentig.
Der Anfang ist immer Standard. Der unterscheidet sich nicht von dem, mit dem wir alle 53 Millionen Fluggäste untersuchen. Auch hier. Der Laptop kam aufs Band, der Kulturbeutel, die Jacke. Die Hosentaschen wurden geleert. Schlüssel, Kleingeld, Handy landeten in diesem kleinen Plastikkörbchen, in dem man auch ein halbes Kilo Erdbeeren verkaufen könnte. Der Gürtel kam dazu. Dann ging der erste Junge durch die Torsonde. Die Torsonde schwieg.
Der Junge guckte jetzt nicht nervös, sondern herablassend. Wir ließen ihn die Schuhe ausziehen und aufs Band stellen. Dann schickten wir ihn nochmal durch die Torsonde.
Es passierte nichts. Außer dass sich die Herablassung in seinem Blick wandelte. Vorher schienen wir in seinen Augen noch auf dem Level von
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