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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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Die ganze Welt brachten sie nach Hause ins Hotelzimmer mit, um sie mit ihrer Mutter zu teilen, doch zu jener Zeit hatte sie nicht mehr richtig zugehört, sie sagte nur: »Dori-Süßer«, oder »Robbi-Schätzchen, erzählt mir das später, ja?« Später hörte sie aber auch nicht zu. Einmal schrie sie: » Hört auf, verdammt, hört auf « , das war kurz vor jenem Tag, als sie sie verloren hatten, als sie sagte, Robin und er müßten jetzt woanders wohnen, bei anderen Leuten, für eine Weile nur, eine Weile. Sie sagte, daß diese Leute Tillmann heißen, aber sie schwindelte, als sie meinte, die wären nett. Sie waren damals noch Kinder gewesen, und nie wieder hatte ihre Mutter sie Robbi und Dori genannt. Rob in war achtzehn Jahre alt. Achtzehneinhalb.
    Leute glotzten. »Gehen Sie zurück«, murmelte Nicole, »stehen Sie hier verdammt noch mal nicht herum.« Doch sie blieben und bestaunten die heranrollenden Wagen. Vor dem dunklen Vectra der Kripo fuhr der Leichenwagen, ein grauer Kasten ohne Fenster. Die Totenträger stiegen aus und begafften Nicole.
    »Durchknallwetter«, sagte sie und erzählte, daß der Luftdruck immer weiter fiel und die Luftfeuchtigkeit – na, sie schätzte mal – inzwischen wohl bei 70 Prozent liegen mußte, zuviel, entschieden zuviel. Nicole erklärte jedem das Wetter, denn sie glaubte fest an seine Auswirkungen auf Körper und Geist.
    Dorian ging zur Absperrung, um die Beamten der Mordkommission durchzulassen, und im selben Moment, als sei es ihr Auftritt, leuchtete Scheinwerferlicht hinter der Friedhofsmauer auf. Hauptkommissar Alexander Kissel und Oberkommissarin Ina Henkel, warum habt ihr so ausdruckslose Gesichter? Warum, wollte er fragen, guckt ihr so stumpf? Tote sind Rümpfe für euch mit Gliedern daran, verwundete Haut und Augen, die nie wieder sehen. Er schluckte und holte Luft, denn die Wörter in ihm benahmen sich wie irre Gefangene, die anrannten gegen ein verschlossenes Tor. Lautlos redete er auf die Kommissare ein, wahrscheinlich werdet ihr nicht einmal grüßen. Ihr müßt euch Mühe geben, wollte er schreien, aber ihr habt doch seit sechsunddreißig Stunden Bereitschaft, guckt euch an, eure Augen! Klein wie Stecknadelköpfe die Pupillen, Ritalin-Pupillen, ja, kleine weiße Pillen vernebeln eure Hirne.
    »Guten Abend«, sagte Kissel. Er rieb die Handflächen aneinander. »Friedhof, da wird mir ja kalt.«
    Dorian überlegte, was es für Worte für Friedhof gab, Gottesacker, Totenacker, Gräberfeld. Auf dem Weg hierher waren Nicole und er an einem Sexshop vorbeigekommen, solche Läden hatten sie als Kinder am Bahnhof am liebsten gemocht. Lustige Sachen lagen da im Fenster, und ihre Mutter ließ sie immer gucken; Mensch, sind das Schniedelchen, werden die groß?
    »Manchmal«, sagte Katja, »manchmal auch nicht.«
    »Reihe sieben«, murmelte Dorian und ging wie ein Fremdenführer vor den Kommissaren her, spürte erst Kies unter den Füßen, dann Gras. Er drehte sich um; Kissel rempelte einen Zuschauer an, und wer ihn kannte, wußte, daß es Absicht war, Ina Henkel hielt den Kopf gesenkt und guckte nirgendwohin.
    Langsam gingen sie auf das Scheinwerferlicht zu, das den versteckten kleinen Weg beleuchtete, auf dem der Tote lag. Die Ermittler guckten auf sein blondes Haar unter der Kapuze, auf seine Brille und die Schuhe, die so zerschlissen waren wie die Jeans, dann drehte Kissel sich um. »Lag der so? Mit der Decke?«
    »Ja«, sagte Dorian. »Sicher.« Er sah zu, wie die Kommissarin Henkel Handschuhe überstreifte, was bedeutete, daß sie den Toten berühren würde.
    »Die Decke«, fing Kissel wieder an, bevor er eine kurze Pause machte. »Die lag nicht über dem Gesicht?«
    »Nein«, sagte Dorian. »Er ist zugedeckt.«
    Kissel lachte auf, ein freudlos klingendes Lachen. »Zugedeckt«, wiederholte er und winkte den weißgekleideten Männern von der Spurensicherung, die sie so behutsam, als sei es eine Decke aus Papier, vom toten Körper nahmen.
    Darunter lag ein anderer Mensch. Oben das Gesicht war in Ordnung, aber alles andere war falsch, rote Flecken, rote Spritzer, sein Blut überall. Man sah es, als die Kommissarin ihn vorsichtig umdrehte, nur ein wenig seine Schulter hob, man sah einen Krater, der sich rot und blutig durch seine Haut fraß. Dorian hörte Kissel leise fluchen und sah die Henkel die Unterlippe zwischen die Zähne ziehen, als brüte sie über einem Kreuzworträtsel. Sie schien die Luft anzuhalten, dann wandte sie den Blick ab und atmete langsam wieder aus.
    Er

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