Sternwanderer
wollen. Ganz zu schweigen von dem Unrecht, das wir in Recht verwandeln müssen, von den Schurken, die wir auf den rechten Weg bringen und den Sehenswürdigkeiten, die wir uns ansehen müssen. Und so weiter. Du weißt schon.«
Sie lächelte ein wenig wehmütig. »Na ja, wenigstens werden wir uns nicht langweilen«, meinte sie. »Aber wir sollten deiner Mutter zumindest eine Nachricht zukommen lassen.«
So überbrachte der Junge des Gastwirts Lady Una von Stormhold ein Blatt Papier. Es war mit Siegelwachs versiegelt, und Lady Una stellte dem Jungen viele Fragen über die beiden Reisenden, ehe sie das Siegel brach und den Brief las. Er war an sie adressiert und lautete nach der korrekten Anrede folgendermaßen:
Sind von der Welt aufgehalten worden.
Erwarte uns, sobald du uns siehst.
Diese Mitteilung war von Tristran unterschrieben, und daneben war ein Fingerabdruck zu sehen, der glitzerte und glänzte, wenn ein Schatten darauffiel, als wäre er mit kleinen Sternchen bestäubt.
Damit mußte Una sich wohl oder übel zufriedengeben.
Es dauerte weitere fünf Jahre, ehe die beiden Reisenden endgültig in der Bergfestung ankamen. Sie waren staubig und müde und in Lumpen gekleidet, und man behandelte sie – zur Schande des ganzen Landes – zunächst wie Vagabunden und Landstreicher. Erst als der Mann den Topas vorwies, den er um den Hals trug, erkannte man ihn als Lady Unas einzigen Sohn.
Die Amtseinsetzung und die anschließenden Festlichkeiten zogen sich über fast einen Monat hin; danach widmete sich der junge zweiundachtzigste Lord von Stormhold den Regierungsgeschäften. Er traf so wenige Entscheidungen wie möglich, aber diejenigen, die er traf, waren ausnahmslos klug, auch wenn dies nicht unbedingt auf den ersten Blick zu erkennen war. Er war ein tapferer Krieger – obwohl seine linke Hand vernarbt und kaum zu gebrauchen war – und ein schlauer Stratege. So führte er sein Volk zum Sieg über die Nördlichen Goblins, als diese den Paß für Reisende blockierten, und er schloß einen stabilen Frieden mit den Adlern der High Crags, einen Frieden, der bis heute andauert.
Seine Frau, Lady Yvaine, war eine schöne Frau aus fernen Landen (wobei niemand genau wußte, woher sie kam). Als sie und ihr Ehemann nach Stormhold kamen, bezog sie eine Zimmerflucht in einer der höchsten Zinnen der Zitadelle. Diese Zimmer standen seit langem leer, weil die Palastbewohner sie für unbewohnbar hielten – das Dach war bei einem Steinschlag vor tausend Jahren eingestürzt. Seitdem lagen die Räume unter freiem Himmel: Der Mond und die Sterne schienen herein, und leuchteten so hell in der dünnen Gebirgsluft, daß man das Gefühl hatte, man könnte in den Himmel greifen und sie mit der Hand herunterholen.
Tristran und Yvaine waren glücklich miteinander. Nicht in alle Ewigkeit, denn die diebische Zeit holt zu guter Letzt alles in ihr staubiges Lagerhaus, aber in Anbetracht dieser unabänderlichen Gegebenheiten waren sie sehr lange glücklich. Dann kam der Tod in der Nacht und wisperte sein Geheimnis ins Ohr des zweiundachtzigsten Lord von Stormhold. Dieser nickte mit seinem grauen Kopf und schwieg für immer. Sein Volk brachte seine sterblichen Überreste in die Ahnenhalle, wo sie bis zum heutigen Tage in Frieden ruhen.
Nach Tristrans Tod wurde von manchen behauptet, er sei Mitglied der Bruderschaft des Schlosses und maßgeblich an der Unterwerfung des Unseelie Court beteiligt. Aber die Wahrheit starb mit ihm, wie so vieles. Niemand konnte den Beweis antreten, weder in die eine noch in die andere Richtung.
Yvaine wurde die Lady von Stormhold und erwies sich als bessere Monarchin in Kriegs- und Friedenszeiten, als man es sich je erhofft hatte. Sie alterte nicht wie ihr Ehemann, und ihre Augen blieben so blau, ihr Haar so golden-weiß und – wie die freien Bürger von Stormhold es gelegentlich beobachten konnten – ihr Temperament so aufbrausend, wie an dem Tag, an dem Tristran ihr zum ersten Mal auf der Lichtung am Teich begegnet war.
Bis heute hat sie nicht aufgehört zu hinken, obgleich niemand auf Stormhold je ein Wort darüber fallenläßt, genausowenig wie über die Tatsache, daß sie manchmal in der Dunkelheit glitzert und strahlt.
Man sagt, daß sie jede Nacht, sofern die Staatsgeschäfte es zulassen, auf die höchste Zinne des Palasts steigt, wo sie Stunde um Stunde verweilt und den kalten Wind der hohen Berge nicht zu bemerken scheint. Sie sagt nichts, sondern blickt nur hinauf in den dunklen Himmel und
Weitere Kostenlose Bücher