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Sternwanderer

Titel: Sternwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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stolz.
    Nur einmal alle neun Jahre am Maitag wird die Wache abgezogen, denn da findet auf der Wiese ein Jahrmarkt statt.
     
     
    * * *
     
    Die nun folgenden Ereignisse haben sich vor vielen Jahren unter der Regentschaft von Königin Victoria zugetragen. Damals war sie noch nicht die schwarzgekleidete Witwe von Windsor – sie hatte runde Apfelbäckchen, einen energischen, schwungvollen Gang, und Lord Melbourne mußte die junge Königin wegen ihrer Flatterhaftigkeit des öfteren sanft ermahnen.
    Mr. Charles Dickens veröffentlichte seinen Roman Oliver Twist in Fortsetzungen; Mr. Draper machte die ersten Fotografien vom Mond und bannte das blasse Rund auf kaltes Papier; Mr. Morse hatte der Öffentlichkeit vor kurzem eine Methode vorgestellt, wie man Botschaften durch Metalldrähte übermitteln konnte.
    Hätte man einem dieser Männer etwas von Magie oder einem Feenland erzählt, hätten sie dafür lediglich ein herablassendes Lächeln übrig gehabt, mit Ausnahme von Dickens vielleicht, der damals noch ein junger, bartloser Mann war. Wahrscheinlich hätte er nur ein versonnenes Gesicht gemacht.
    In diesem Frühjahr trafen viele Leute auf den Britischen Inseln ein. Sie kamen einzeln, zu zweit, gingen in Dover an Land, in London oder in Liverpool – Männer und Frauen, deren Haut so blaß war wie Papier, so dunkel wie Vulkangestein, rötlich braun wie Zimt, Menschen, die sich in einer Vielfalt von Sprachen verständigten. Den ganzen April über kamen sie, und sie reisten mit dem Zug, zu Pferde, in Wohnwagen oder Karren, und manche gingen zu Fuß.
    Zu dieser Zeit war Dunstan Thorn achtzehn Jahre alt und in keiner Weise romantisch veranlagt.
    Er hatte nußbraunes Haar, braune Augen und Sommersprossen. Er war mittelgroß und nicht sehr redegewandt. Doch er lächelte gern und oft, und dieses Lächeln brachte sein Gesicht von innen heraus zum Strahlen. Wenn er tagsüber auf den Weiden seines Vaters seinen Phantasien nachhing, träumte er davon, das Dorf Wall, in dem man vor Überraschungen nicht sicher war, zu verlassen und nach London zu ziehen, nach Edinburgh oder Dublin oder in eine andere große Stadt, wo man nicht darauf achten mußte, aus welcher Richtung der Wind blies.
    In diesem April kamen Leute nach Wall, die den Jahrmarkt besuchen wollten, aber Dunstan mochte sie nicht. Mr. Bromios’ Gasthaus, genannt Zur siebenten Elster, normalerweise ein Labyrinth leerer Räume, war schon seit einer Woche ausgebucht, und jetzt suchten die Fremdlinge Unterkunft in Bauernhöfen und Privathäusern, bezahlten mit ausländischen Münzen, mit Kräutern und Gewürzen und sogar mit Edelsteinen.
    Je näher der Markttag rückte, desto höher stieg die Spannung. Die Menschen wurden früher wach, zählten die Tage, die Minuten. Die Wachen am Mauerdurchgang waren rastlos. Gestalten und Schatten regten sich in den Bäumen am Rand der Wiese.
    Im Wirtshaus Zur siebenten Elster kam es wegen Bridget Comfrey, die allgemein als das schönste Küchenmädchen seit Menschengedenken galt, zu Reibereien zwischen Tommy Forester, mit dem man sie das letzte Jahr über hatte ausgehen sehen, und einem großen Mann mit dunklen Augen und einem kleinen schnatternden Äffchen. Der Mann sprach nur gebrochen englisch, aber er lächelte jedesmal sehr vielsagend, wenn Bridget vorbeikam.
    In der Schankstube drängten sich die Einheimischen neben den fremdländischen Besuchern.
    »Es ist ja nur alle neun Jahre«, redeten sie sich gut zu. »Man sagt, in der alten Zeit sei jedes Jahr Markt gewesen, immer an Mittsommer.«
    »Fragt doch Mr. Bromios, der wird es wissen.«
    Mr. Bromios war groß, hatte olivfarbene Haut, eng am Kopf anliegende schwarze Locken und grüne Augen. Wenn die Dorfmädchen zu Frauen heranwuchsen, erweckte er ihr Interesse, aber er erwiderte ihre Aufmerksamkeit nicht. Man erzählte sich, er sei vor sehr langer Zeit ins Dorf gekommen; zuerst befand er sich nur auf der Durchreise, aber dann war er im Dorf geblieben. Nun, sein Wein war gut, da waren alle einer Meinung.
    Im Gastsraum der Schenke brach ein lauter Streit zwischen Tommy Forester und dem dunkeläugigen Mann aus, der anscheinend Alum Bey hieß.
    »Man muß sie zur Vernunft bringen! Um Himmels willen! Schluß damit!« rief Bridget. »Sie gehen nach draußen und wollen sich meinetwegen prügeln.« Als sie den Kopf zurückwarf, schimmerten ihre vollkommenen blonden Locken im Schein der Öllampe wunderhübsch.
    Aber niemand gebot den Männern Einhalt; im Gegenteil, einige Dorfbewohner und

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