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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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Humanismus, sondern auf unseren Sieg wartet die Welt.« Obwohl der König aus »völkerrechtlichen« und General von
     Moltke aus »strategischen« Gründen dagegen waren, wurde kurz nach Weihnachten 1870 das Bombardement der französischen Hauptstadt beschlossen, die größte Barbarei in diesem an barbarischen Aktionen reichen
     Feldzug.
    Stieber, dem Bismarck an Heiligabend das Eiserne Kreuz in Aussicht gestellt hatte, war nicht unbeteiligt an dieser Entscheidung:
     Er reichte im richtigen Moment einen »Lagebericht« ins Hauptquartier,der von der schlechten Moral in der Heimat berichtete, wo viele Deutsche Schwarz trugen, weil sie Gefallene zu beklagen hatten,
     auch verstand man zu Hause nicht, warum der »glorreiche Feldzug« immer noch andauerte und jetzt auch schon weit in den bitterkalten Winter 1970   /   71 hineinreichte.
    Am Morgen des 27.   Dezember 1870 um 8   Uhr 30 begann das Bombardement aus 250   Kanonen, die – eine Novität in der Militärgeschichte – in einem beispiellosen logistischen Kraftakt mit 400   Lokomotiven per Eisenbahn herbeigeschafft worden waren. Die schweren Vierundzwanzigpfünder schlugen in die Wohngebiete der
     dichtbesiedelten und von Flüchtlingen überfüllten Hauptstadt ein, in der sich damals mehr als zwei Millionen Menschen aufhielten.
     Die Vorstadt Saint-Denis, die gezielt unter Beschuß genommen wurde, brannte, die Krankenhäuser konnten die Schwerverletzten
     kaum fassen. Die Nahrungsmittel wurden rationiert, Erwachsene bekamen täglich 300   Gramm Brot, Kinder 150.   Auf den Märkten verkauften die Händler Hunde, Katzen und Ratten an wohlhabende Pariser.
    Währenddessen diskutierte man im deutschen Hauptquartier die Modalitäten einer deutschen Vereinigung (man glaubte, sich beeilen
     zu müssen, denn zu Hause forderten nationalliberale Gruppierungen nach dem gemeinsamen Sieg über Frankreich schnellstmöglich
     eine politische Einheit – ob mit oder ohne König). Die Lage in Deutschland war von den Strategen vor Paris schwer einzuschätzen.
     Deshalb beauftragte Bismarck Stieber mit einer Eilrecherche in Sachen deutsche Stimmungslage. Seit seiner großflächigen Jagd
     auf die Kommunisten gab es keine deutsche Residenz, in der Stieber keine Agenten unterhielt. Seine Leute meldeten einhellig,
     daß vor allem in den süddeutschen Staaten und in Hannover niemand einen preußischen Soldaten-Kaiser aus Berlin haben wollte.
    Da der preußische König Wilhelm wie immer zögerte und kategorisch forderte, wenn überhaupt, so nehme er nur von seinesgleichen
     die Kaiserkrone an, mußte Bismarck nachhelfen. Aus dem »Reptilienfonds« des Welfen Georg V. und aus dem Privatvermögen der
     hessischen Kurfürsten, die Soldaten an England verkauft hatten, bot er Ludwig II. von Bayern eine Unterstützung (7   Millionen) zur Begleichung seiner horrenden Bauschulden an (4   Millionen) – der bayrische Unterhändler in Versailles, Graf Holnstein, bekam davon 10   % Provision.
    Graf Holnstein mußte dafür seinem König eine Unterschrift abtrotzen – unter das vorbereitete Angebot an Wilhelm, die Kaiserkrone
     aus Ludwigs Hand anzunehmen. Da Ludwig sich dazu (wegen Zahnschmerzen, wie Stiebers Spitzel am Hofe des Bayernkönigs berichtete)
     nicht in der Lage sah, unterschrieb der dazu autorisierte Holnstein im Namen seines schwachen Regenten und eilte mit der Erklärung
     nach Versailles zurück.
    Noch immer zögerte der preußische König, die von Ludwig im Namen der deutschen Fürsten angebotene Kaiserkrone zu übernehmen
     – ganz zu Recht mit Hinweis auf die immer noch unsichere Kriegslage, sehr zu Unrecht, weil er der Meinung war, eine gleichzeitig
     angereiste Delegation des Reichstages bringe den »Ludergeruch der Revolution« nach Versailles. Aber Bismarck überzeugte Wilhelm
     I.Und so konnte – unter dem Schutz von Stieber und unter dem Donner der Paris beschießenden Batterien – am 18.   Januar 1871 im Spiegelsaal des Versailler Königsschlosses die Proklamation des preußischen Königs Wilhelm I.zum Deutschen Kaiser vorgenommen
     werden. Stieber war gerührt – gleichzeitig aber spottete er heimlich darüber, daß die Delegation der Abgeordneten, die die
     Erklärung formuliert hatten und sie nun Wilhelm übergaben, fast ausschließlich aus Juden bestand.
    Die Kaiserproklamation provozierte Paris zu einem Ausbruchsversuch mit einem letzten Aufgebot von 100   000 schnell rekrutierten Soldaten. Die Deutschen schlugen auch diesen Angriff zurück und

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