Stiefbruder - Liebe meines Lebens
Decke.
Vielleicht sollte ich an dieser Stelle klarstellen, dass noch nie etwas zwischen uns gelaufen war und auch in jener Nacht nichts zwischen uns passierte. Präziser gesagt – von
seiner
Seite aus war da gar nichts,
mich
dagegen wirbelte sie völlig auf.
Wir redeten noch stundenlang darüber, auf welche Weise wir in Zukunft Kontakt halten könnten und er machte mir Mut für mein neues Zuhause. Als mir bewusst wurde, dass ich Jakob vermutlich erst frühestens zu Weihnachten wiedersehen würde, musste ich heulen. Er schlang tröstend seine Arme um mich, kuschelte sich an meinen Rücken und hielt mich ganz fest. Wie unter der Autobahnbrücke schon, streichelte er sanft über meinen Kopf und redete beruhigend auf mich ein.
Da er hinter mir lag konnte ich sein Gesicht nicht sehen, aber ich spürte etwas Nasses über meinen Hals in den Nacken laufen und hörte, wie seine Stimme brüchig wurde. Er weinte ebenfalls, schniefte sogar. Das machte mich betroffen und ich wurde still. Bald jedoch schlief er ein und sein Atem ging ruhig und regelmäßig, kroch in meinen Nacken und blies über mein Ohr hinweg. Das, wie auch sein Bauch, sein Brustkorb, die sich dabei sanft und beständig an meinen Rücken schmiegten, erregte mich so sehr, dass ich meine Hände in den Schoß legte. Dabei musste ich bloß zufällig über den Stoff der Hose streifen und es kam mir, wobei ich das Gesicht fest ins Kissen drückte, um mich durch mein heftiges Schnaufen nicht zu verraten.
Es war nicht das erste Mal, dass ich sexuelle Gefühle hatte, aber das erste Mal, dass ich sie hatte während ich einen Menschen berührte. Was ich in dieser Nacht aufkommen spürte, war die logische Konsequenz der Wochen davor gewesen, und vielleicht auch die der drohenden Zukunft. Nach meinem spontanen Orgasmus konnte ich nicht schlafen, drehte mich herum und betrachtete Jakob im Schlaf. Dabei streichelte ich – ganz vorsichtig, aus Angst ihn zu wecken -- seine Arme, seine Schultern und seine Wangen. Obwohl ich eindeutig sexuell erregt war, hatte meine Zärtlichkeit etwas Unschuldiges – ich fand Jakob einfach nur wunderschön und wollte ihn mir genau einprägen.
Als der frühe Morgen durch die Jalousien hindurch goldene Linien auf Jakobs Gesicht malte, konnte ich mich nicht mehr zurückhalten, neigte mich über ihn und küsste ihn ganz sanft auf den Mund. Ich wusste nicht ob es mein Kuss war, der ihn weckte, aber er blinzelte, gähnte und schlug schließlich die Auge auf. Zunächst wirkte er erstaunt darüber, dass ich in seinem Bett lag, doch dann erinnerte er sich wieder, dass er mich dazu eingeladen hatte. Er lächelte mich auf eine Art an, dass mir ganz anders wurde und umarmte mich.
Es war unwichtig –
eigentlich
war es unwichtig – aber ich konnte seine Morgenlatte an meinem Schenkel spüren und das machte mich an. Sie war wie ein Versprechen an eine ferne Zukunft, von der ich noch nicht viel ahnte, aber eine ganze Menge erhoffte.
Zwei Stunden später saß ich im Auto, stumm und ergeben, sah im Seitenspiegel meine bisherige Familie immer kleiner werden, ehe sie mit der nächsten Kurve ganz aus dem Bild rutschte.
Der kleine Rebell [1997]
Die Wohnung, die mein Vater ausgesucht hatte – oder eher – aussuchen hatte lassen – war kalt und trostlos. Aber vermutlich wäre mir
jeder
andere Ort fern meiner bisherigen Familie trist erschienen. Schon in den ersten Minuten wurde mir klar, dass ich hier sehr einsam sein würde. Am ersten Tag nach unserer Ankunft musste mein Vater bereits in der neuen Zweigstelle seiner Firma erscheinen und ließ mich allein. Er meinte beim Frühstück lapidar, ich hätte nun die einmalige Chance zu beweisen, dass ich erwachsen würde. Dazu wäre lediglich nötig, die Möbel für mein Zimmer ganz allein zusammenzuschrauben und mich selbständig einzurichten. Doch ich war bereits im Krieg.
Zwei Wochen sprach ich kein Wort mit ihm, weigerte mich, dies hier mein Zuhause zu nennen, übernachtete mit dem Schlafsack in der Ecke des kargen Raums, der als mein Zimmer geplant war. Mein Vater nahm die stille Rebellion so teilnahmslos hin wie das Waldsterben, und ließ mich mit dem Mittelding aus Rumpelkammer und Möbellager allein. Für ihn war Ignoranz offenbar eine probate Lösung, seinem Sohn eine Lektion zu erteilen und ihm Selbständigkeit beizubringen.
Fast jeden Vormittags läutete es an der Tür. Mal waren es neugierige Nachbarn, mal Zeugen Jehova oder Techniker von den Strom- und Gaswerken, um irgendwelche Zähler
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