Stille Nacht: Ein Fall für Hubertus Hummel (German Edition)
Anlaufspur.
»Ziiieh«, brüllte Klaus mit allen anderen, während Hubertus immer noch entsetzt über den Auftritt seiner Tochter war.
»Einhundertvierzig Meter«, verkündete der Stadionsprecher kurz darauf. »Und was hat er für Haltungsnoten? Fast die gleichen wie Thomas Morgenstern. Rang zwei für unseren Severin nach dem ersten Durchgang.«
Auch die Pause verbrachten Hubertus und Klaus in der Nähe des VIP-Zeltes. Klaus hatte es seinem Freund ausreden können, Martina zu suchen und ihr das Transparent wegzunehmen.
Kurz darauf kam zwar nicht der Edelmann-Pressesprecher, aber immerhin der Sportchef des Schwarzwälder Kuriers am Zelt vorbei – ein schnauzbärtiger, schwäbelnder Lockenkopf mit dem Spitznamen »Bacchus«, weil er optisch etwas dem Weingott ähnelte. Klaus traf ihn mitunter bei Heimspielen des Villinger Fußballklubs FC08. Er stürzte auf ihn zu: »Wolfgang! Du hast doch sicher eine Presse-VIP-Karte …«
Leider erwies sich diese als nicht übertragbar, doch der Kollege erklärte sich bereit, drinnen nach dem Pressesprecher zu suchen. Und tatsächlich: Nach fünf Minuten kam er mit Holger Baumann, dem Edelmann-Pressechef, aus dem Zelt.
Klaus blickte die beiden Gorillas triumphierend an und sagte: »Bitte entschuldige, Holger, nur ein Satz: Hast du schon von dem Mord an Schlenker gehört?«
Baumann war ein hoch aufgeschossener, vielleicht für den Anlass eine Spur zu gut angezogener Mittdreißiger. Seine Gesichtszüge verfinsterten sich sofort.
»Soll das ein Witz sein? Natürlich. Und dein Artikel heute im Kurier war ja wohl ziemlich daneben. Ich hoffe nur, dass sich bald ein privates Motiv herausstellt, sonst werden wir wieder Opfer von irgendwelchen Verschwörungstheorien.«
»Zu Unrecht?«, mischte sich Hubertus ein und erntete einen abschätzigen Blick.
»Ich weiß zwar nicht, wer Sie sind, aber selbstverständlich zu Unrecht«, sagte Baumann.
»Ich bin ein Freund von Herrn Riesle«, erläuterte Hubertus. »Aber spielt es der Edelmann-Brauerei im Grunde nicht in die Karten, dass sich Herr Dr. Schlenker ins Jenseits verabschiedet hat? So haben Sie doch möglicherweise freie Bahn für die Fusion …«
Baumann unterbrach ihn und wandte sich an Riesle: »Klaus, du hast schon komische Freunde.« Dann blickte er Hubertus an: »Ich möchte Ihnen raten, so etwas nicht öffentlich zu behaupten oder zu schreiben, falls Sie Journalist sind. Wir haben eine gute Rechtsabteilung.« Dann drehte er sich wieder zu Klaus. »Ich muss wieder hinein. Dr. Limberger wartet.«
»Ist das nicht Dr. Limberger?«, unterbrach ihn Klaus.
Ein Mann von Mitte fünfzig im feinen Kaschmirmantel trat aus dem Zelt, begleitet von einem kräftigen jüngeren Mann in Anzug und Krawatte, offenbar seinem Assistenten. Dieser hatte eine spitze Nase, war sehr groß und … Es war der Mann aus dem Zug!
»Mörder!«, schrie Hubertus und rannte auf den Mann zu.
Dieser starrte ihn erst entsetzt an, wich zurück und ergriff dann die Flucht, als Hummels zwei Zentner auf ihn losstürmten.
Während Limberger und Baumann große Mühe hatten, die Situation auch nur annähernd einzuschätzen, sprang Klaus hinter seinem Freund her.
Die wilde Jagd ging quer durch die Zuschauerreihen, die zu den Klängen der Musikkapelle schunkelten. Gerade wurde das Badner-Lied intoniert:
»Das schönste Land in Deutschlands Gaun, das ist mein Badnerland, es ist so herrlich anzuschaun und ruht in Gottes Hand …«
Unter normalen Umständen wäre Hubertus nun ruckartig stehen geblieben, hätte seine rechte Hand ans Herz gepresst und ergriffen gelauscht, doch momentan hatte er keine Zeit dafür. Der Flüchtende hatte nämlich etwa zehn Meter Vorsprung, was angesichts der Behinderungen durch die zahlreichen Zuschauer einiges bedeutete.
Hubertus war jedoch wie entfesselt, umkurvte Skisprungfans, schnitt Haken und bekam den Mann einmal auch fast zu fassen. Klaus folgte mit wenigen Metern Abstand.
Hummel überlegte sich während des Laufens, was er eigentlich machen sollte, falls er den Mann einholte. Dieser war zweifelsohne stärker als er. Vielleicht gelang es ihm ja, ihn so lange festzuhalten, bis die Polizei einträfe.
Der Spitznasige machte gerade wieder einen abrupten Richtungswechsel und hätte fast einen Glühweinverkäufer umgerannt. Hubertus versuchte zu folgen, kriegte die Kurve jedoch nicht ganz – und stieß voll mit einem im Weg stehenden Mann zusammen. Beide gingen zu Boden und zogen dabei auch noch eine dritte Person mit sich.
Als
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