Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriegsbraut
Vom Netzwerk:
DIRK  KURBJUWEIT
     
    Kriegsbraut
     
    ROMAN
     
     
    AFGHANISTAN, FRÜHSOMMER   2006
     
    Der Himmel
zeigte ein blasses Blau, auf den Bergen lagen reglos Wolken, ein langes Band,
weiß und grau, struppig. Der Staub, der durch die Ritzen der Autos drang,
schmeckte anders als sonst, ein bisschen feucht, nicht ganz so aschig. Nach
einer Stunde hielten die beiden Geländewagen vom Typ Wolf auf einem Plateau.
Das Land lag weit und gelb unter ihnen, Kunduz leuchtete grün wie eine Oase,
der Fluss silbergrau. Esther stieg aus, in der Ferne sah sie einen anderen
Konvoi der Bundeswehr, drei Fahrzeuge, gehüllt in eine Wolke aus Staub. Winzig
und verloren wirkten sie in dieser gewaltigen Ödnis, und doch war es ein Trost,
sie zu sehen, Freunde, Gefährten, sie würden helfen.
    Esther
hörte die Männer in den Sand pinkeln, dann hörte sie Stimmen. Kinder liefen
herbei, drei Jungs, ein Mädchen. Ihre Gesichter waren älter, als sie sein konnten,
nahm man die Körpergröße als Maßstab. Sie standen zwei Meter entfernt,
schauten die Soldaten an, niemand sagte etwas. Tauber holte eine Tüte aus dem
Wolf und verteilte Kugelschreiber mit der Aufschrift «Zum Hirschen Paderborn».
Einer der Infanteristen zog ein Zwei-Euro-Stück aus der Hosentasche und zeigte
damit ein paar Zaubertricks. Die Münze verschwand aus der Hand, tauchte im Ohr
wieder auf. Es war nicht zu erkennen, ob die Kinder sich freuten. Esther sah
einen Mann, der auf sie zurannte, weit draußen auf dem Feld. Die beiden
Infanteristen strafften sich und packten ihre Gewehre, die bis dahin von ihren
Schultern gebaumelt hatten. Der Mann rannte und rannte. Esther ging zurück zum
Wolf, nahm ihr Gewehr. Den rennenden Mann ließ sie nicht aus den Augen. Er war
noch fünfzig Meter entfernt, sie entsicherte, stellte auf Einzelfeuer. Er
wurde langsamer, trottete heran und stand dann bei den Kindern. Sein Atem ging
schwer, er sah auf die Tüte mit den Kugelschreibern. Gelbe Augen, tausend
kleine Falten in seinem Gesicht. Tauber gab ihm einen Stift. Esther ging zu
ihrem Wolf, öffnete eine Einmannpackung, «Hamburger in Tomatensauce», und nahm
die Dose mit der Schweinswurst heraus. Dann reichte sie dem Mann die
Einmannpackung. Er nickte. Sie stiegen ein, fuhren los. Als sich Esther nach
einer Weile umdrehte, sah sie den Mann über das Feld zurückgehen. Sie hoffte,
dass die Hamburger nicht mit Schweinefleisch waren, sondern mit Rindfleisch.
Die Kinder waren verschwunden.
     
    «Ich war
neun, Schülerin in der Schulkate, als es hieß, ein Wal sei auf Rügen
gestrandet», erzählte sie dem Schuldirektor, als sie im Dorf angelangt waren.
Sie saß auf dem Boden des Direktorenzimmers, Rücken an der Wand, die Beine
gestreckt, das Gewehr wippte auf ihren Oberschenkeln. Sie schwitzte unter der
Schutzweste. Vom Windstrom des Ventilators kam nichts bei ihr an. Der
Schuldirektor hockte hinter seinem Schreibtisch und schien in eine Kladde
vertieft. «Eigentlich gibt es keine Wale in der Ostsee, aber manchmal verirrt
sich einer. Wir erfuhren das beim Unterricht. Der Kleinbus der LPG fuhr vor,
mein Vater hatte ihn geschickt, damit wir Kinder den Wal sehen konnten. Wir
quetschten uns alle hinein und spekulierten auf der Fahrt, wie groß der Wal
wohl sei. Wie eine Scheune, sagte einer, und das kam uns realistisch und
wünschenswert vor. Möge er doch so groß sein wie eine Scheune. An der LPG hielt
der Kleinbus, und mein Vater stieg ein. Den Wal wollte er sich nicht entgehen
lassen. Noch bevor wir den Wal sahen, konnten wir ihn riechen. Es war ein
übler, fischiger Geruch, und wir hielten uns die Nase zu und schrien Bäh! und
Bah! gegen den Wind. Komisch, dass der Wal wie ein Fisch riecht, aber kein
Fisch sein soll, oder?»
    Sie hatte
bis dahin zum Fenster geblickt, nun, nach ihrer Frage, sah sie den
Schuldirektor an. Er senkte rasch den Blick auf seine Kladde, und sie freute
sich, weil er sie angeschaut hatte.
    «Aus der
Ferne», fuhr sie fort, «war schon klar, dass der Wal nicht so groß war wie eine
Scheune, bei weitem nicht. Ein paar Leute standen um ihn herum, darunter eine
Frau in einem weißen Kittel. Als wir näherkamen, sah ich, dass das meine Mutter
war, die Meeresbiologin. Sie war als Einzige dicht bei dem Wal, die anderen
hielten Abstand. Was machen die Kinder hier?, rief meine Mutter, als sie uns
sah. Meine Mutter war wütend, das konnte ich hören, sehr wütend. Der Wal war
enttäuschend klein, er stank nur wie etwas sehr Großes, Fürchterliches. Ob
ihm nicht klar sei,

Weitere Kostenlose Bücher