Stille Wasser sind toedlich
»Ich kannte mal einen Andrew Bond. Ein Verwandter?«
»Ja, Sir. Mein Vater, Sir.«
»Sieh einer an! Wie klein die Welt doch ist. Andrew und ich sind in der gleichen Branche.«
»Waffen?«, fragte James.
»So ist es. Ohne Waffen können Soldaten nicht kämpfen. Nach dem Krieg hatten wir jede Menge zu tun. Viele Länder brauchten neue Waffen, weil die alten in tausend Stücke zerbombt waren.« Er lachte laut. Dr. Alington nickte. Auf seinen Lippen lag ein leichtes Lächeln.
»Arbeitet Ihr Vater immer noch mit Vickers zusammen?«, fragte der Riese und strich über seinen Schnurrbart.
»Nein, Sir, das tut er nicht«, sagte James.
»Er ist ein guter Mann. Sicher, wir waren Konkurrenten, aber ich mochte ihn. Ich freue mich, Sie kennen zu lernen, Mister Bond. Ich bin Lord Randolph Hellebore.« Er schüttelte James’ Hand. »Vielleicht kennen Sie meinen Sohn George ja bereits?«
James blickte nervös zu dem Jungen hin und nickte. »Wir sind uns schon einmal begegnet«, sagte er. George zog drohend die Augenbrauen zusammen.
»Und sind Sie auch so wie er?«, fragte Hellebore und beugte sich ganz nah zu James heran. »Können Sie laufen? Können Sie schwimmen? Können Sie mit Alligatoren kämpfen?«
Lord Hellebore lachte James ins Gesicht und sein warmer Atem, der sauer und schwefelig roch, schlug ihm entgegen. James dachte unwillkürlich an einen Tag, als er im Londoner Zoo gewesen war und zu nah am Käfig des Löwen gestanden hatte. Das riesige Biest hatte gebrüllt und sein Atem hatte nach Fleisch gestunken und nach noch etwas anderem, etwas Unmenschlichem und Beängstigendem. Ohne die Gitterstäbe zwischen ihnen wäre das der Geruch des Todes gewesen.
Aber es war nicht nur Lord Hellebores Atem – sein ganzer Körper strahlte einen unangenehmen, tierischen Geruch aus wie ein tödliches Gas. Seine Pupillen waren sehr groß und sehr schwarz, wie zwei tiefe schwarze Löcher, umgeben von dünnen blassblauen Ringen.
Es entstand ein langes, unruhiges Schweigen, als Lord Hellebore in James’ Augen starrte. James wusste nicht recht, was er tun oder sagen sollte, und war sich qualvoll der Gegenwart des Direktors bewusst. Aber selbst der Schulleiter scharrte nervös mit den Füßen.
»Boxen Sie, Mister Bond?«, fragte Hellebore endlich und zeigte ein Lächeln, das zwei Reihen makellos strahlender weißer Zähne enthüllte.
»Ein bisschen«, sagte James.
»Dann mal los! Zeigen Sie mir, was Sie wert sind.« Hellebore hielt die Fäuste vors Gesicht und James wusste weniger denn je, was von ihm erwartet wurde.
»Na los, schlagen Sie zu.« Hellebore klang wie ein Cowboy oder ein Gangster in einem amerikanischen Film.
James holte halbherzig zu einem Haken aus, den Hellebore mit Leichtigkeit mit der Fläche seiner riesigen Hand abfing.
»Ist das alles, was Sie können?«, bellte er und wandte sich dann an Dr. Arlington. »Es heißt, Ihre Schule sei voller Schwächlinge und Waschlappen. Es heißt, Sie nähmen Sport nicht wirklich ernst. Nun, das werde ich ändern. Na los, Bond, geben Sie ihr Bestes!«
James holte aus und diesmal legte er sein ganzes Gewicht in den Schlag. »Dad!«, rief George verlegen, so als wollte er seinen Vater an seinem Vorhaben hindern. Hellebore warf ihm einen Blick zu und genau in diesem Moment traf James sein Kinn.
Für Hellebore war es gewiss kein allzu schlimmer Treffer. James hingegen kam es so vor, als habe er gegen eine Steinmauer geschlagen, so heftig war der Schmerz, der durch seinen Arm jagte. Einen kurzen Augenblick lang starrte Hellebore James mit so wilder, unverhohlener Wut an, dass James unwillkürlich zurückwich. Aber gleich darauf war es vorbei und Hellebores Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.
»Hey, Sie haben mich erwischt, als ich gerade nicht aufgepasst habe.« Hellebore rieb sein Kinn. »Nicht übel. Ich muss Sie im Auge behalten, Mister Bond. Sie könnten Ärger machen.«
»Kommen Sie mit, Lord Randolph«, sagte Dr. Alington nervös. »Wir wollen doch nicht zu spät zum Abendessen kommen. Und dieser Junge sollte schleunigst wieder in sein Haus zurückkehren.«
»Gewiss«, sagte Lord Hellebore. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf, drehte sich auf dem Absatz um und ließ James ohne ein weiteres Wort stehen.
Dr. Alington führte seinen Gast eilig weg. George trottete hinter den beiden Männern her, allerdings nicht ohne James zuvor einen letzten hasserfüllten Blick zuzuwerfen.
Was hatte er da angestellt? James spürte, wie sein Herz raste. Er holte
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