Stiller Tod: Thriller (German Edition)
Oudekraal fährt. Vor ihm glitzern die Lichter von Camps Bay wie die Halskette einer reichen Lady. Scheiß drauf, die Kleine wird sowieso nicht mehr mit der Puppe spielen, nicht da, wo sie jetzt ist.Dawn Cupido lebt in der ständigen Furcht, dass der kranke Scheiß, der ihre Kindheit zum Alptraum machte, irgendwann auch ihre Tochter heimsucht. Und deshalb bezahlt sie mehr, als sie sich eigentlich leisten kann für dieses miese Loch im proletarischen Goodwood, einem Viertel, in dem überwiegend weiße Afrikaner wohnen, mit kleinen Häusern und unscheinbaren Wohnblocks, umzäunt von Stacheldraht, um die gierigen schwarzen Finger von der falschen Seite der Gleise fernzuhalten.
Dawn steht in einem verwaschenen Bademantel in der schäbigen kleinen Küche ihrer Einzimmerwohnung und macht sich einen Instantkaffee, während durch die verriegelte Balkontür hinter ihr nahezu ungedämpft der abendliche Verkehrslärm der Voortrekker Road dringt – eine der längsten Straßen in ganz Afrika –, die diesen deprimierenden Vorort mit dem reichen Kapstadt verbindet.
Durch die Stäbe vor dem gesprungenen Küchenfenster kann sie die hohen Natriumdampfleuchten sehen, die wie Ufos über den ärmlichen Häusern und Hütten der riesigen Cape Flats schweben. Sie ist da draußen aufgewachsen, auf der Müllkippe der Apartheid, zusammen mit Millionen Bewohnern unterschiedlichster Ethnien, wo so viele Kinder vergewaltigt und ermordet werden, dass es schlichtweg unvorstellbar ist.
Dawn nimmt den Kaffee und eine Packung Riffelchips mit, lässt sich auf ein altes Sofa plumpsen, aus dem die Füllung quillt, und stiert auf den stummgeschalteten Fernseher, in dem gerade ein Tanzwettbewerb läuft. Ihre vierjährige Tochter Brittany liegt auf dem Doppelbett und schläft, umarmt von einem ihrer vielen Stofftiere. Dawn streckt den Arm aus und streichelt Brittany das kupferfarbene Haar, behutsam, um sie nicht zu wecken. Wie jeden Tag aufs Neue staunt sie darüber, dass dieses wunderbare rotblonde Wesen das Ergebnis von zehn hektischen Minuten mit irgendeinem längst vergessenen weißen Freier auf einem Autorücksitz ist.
Dawn pustet auf die dampfende Tasse, starrt die Tänzer an, die glamourös und anmutig über die Mattscheibe wirbeln. Sie stopft sicheine Handvoll Chips in den Mund und spült sie mit Kaffee runter, hat mal wieder einen dieser Momente, in dem sie sieht, so richtig sieht, wie beschissen erbärmlich ihr Leben ist. Und wie zur Bestätigung erbebt ihre Wohnung bei den ersten Takten einer miesen Coverversion von »Eye of the Tiger«, das untrügliche Zeichen dafür, dass die Tittenbar gegenüber soeben aufgemacht hat. Dawn bleibt also keine halbe Stunde mehr, um Brittany zum Babysitter zu bringen und sich dann rüber in die Bar zu schleppen, wo sie sich eine weitere Nacht vor fetten, verschwitzten Weißen ausziehen wird.
Scheiße.
Dawn weiß, dass sie ohne etwas Hilfe die Nacht nicht durchsteht. Sie greift unters Kissen und holt einen prall mit Gras gefüllten Ziploc-Beutel hervor. Dann hebt sie eine People -Ausgabe vom Teppichboden auf, der mit Brandflecken übersät ist, und schüttelt etwas von dem Gras auf Angelina Jolies Goldfischlippen. Das grüne Häufchen riecht wie alle Zimmer in Dawns Kindheit, und sie muss einen Moment die Augen schließen, als könnte das die Erinnerungen aufhalten.
Gekonnt trennt Dawn die Stengel und Samen vom Gras. Sie hasst es, wenn die Samen beim Rauchen zerplatzen. Weiß, dass sie den Scheiß lassen sollte. Sie hat Brittany schon einmal verloren, vor zwei Jahren, als sie noch anschaffen ging, weil sie auf Meth war. Jetzt ist sie clean und hat ihr Kind zurück, aber das kann sich jederzeit ändern, wenn die sie nochmal hochnehmen.
Sie zieht ein Rizla-Papierchen aus der orangefarbenen Packung und dreht einen Joint mit bloß einem Blättchen. Normalerweise kann sie das im Schlaf – die großen mit drei Blättchen dreht sie fast nie –, aber heute Abend fällt es ihr schwer, diesen kleinen Shorty hinzukriegen, weil sie auf einmal wie aus dem Nichts irgendwelcher Scheiß überfällt, die Erinnerungen unaufhaltsam auf sie einströmen.
Sie leckt an der Gummierung, zwirbelt die Spitze zusammen, stopft das andere Ende mit einem Streichholz fest und zündet den Joint an. Inhaliert, hält den Atem an, bis ihre Lunge beinahe platzt und sie den Rauch aushustet.
Dawn klemmt sich den Joint zwischen die Zähne, zieht das Haargummi ab, das ihren Pferdeschwanz zusammenhält, und blinzelt durch den Rauch Richtung
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