Stiller Tod: Thriller (German Edition)
den Beutel auf den Boden fallen und geht zurück ins Wohnzimmer, in dem Dawn dabei ist, ihr Make-up zu erneuern.
Sie sieht ihn im Spiegel an. Als er hinter sie tritt, zuckt sie zusammen. »Wo hast du den Stoff her?«, fragt er.
»Von irgend so ’nem Typen.« Der Lippenstift fährt um ihren Mund.
»Boogie?«
»Nein.« Ohne ihn anzusehen, verlogenes Miststück. »Keine Ahnung, wie er heißt.«
»Bist du blöd im Kopf oder was? Willst du sie wieder verlieren?« Dawn schüttelt ihre Locken, drückt mit einem leisen Klicken die Kappe auf den Lippenstift. »Was hab ich dir gesagt, als ich dir geholfen hab, sie zurückzukriegen?«
Dawn sagt nichts, geht jetzt von ihm weg, ängstliche Augen auf das Kind gerichtet. Er folgt ihr, drängt sie zwischen Sofa und Fernseher. »Bist du schwerhörig? Was hab ich dir gesagt?«
»Wenn ich wieder anfange, sorgst du dafür, dass sie sie mir wieder wegnehmen.« Sie sieht zu dem Kind hinüber, das ein leises Wimmern von sich gibt, wie ein Kätzchen, und die Augen aufschlägt, zuihnen hochblinzelt. »Bitte, Vernon, es war doch bloß ein bisschen Gras, Mann«, sagt Dawn, ihre Stimme ein Flüstern.
Er starrt sie lange an, ehe er etwas antwortet: »Du enttäuschst mich, Dawnie. Das ist deine allerletzte Chance, haben wir uns verstanden?«
Dawn nickt, und Vernon setzt sich aufs Sofa, nimmt den Geschenkkarton und hält ihn dem Kind hin, das ihn verständnislos anblinzelt. »Für dich.«
Das Kind blickt auf das Geschenk, sieht dann hoch zu seiner Mutter.
»Was ist das?«, fragt Dawn.
»Nimm es!«, sagt er zu dem Kind, ohne auf Dawn zu achten.
Das Kind packt den Karton mit seinen kleinen Affenhänden und reißt das Geschenkpapier ab, bis die Puppe mit den blonden Haaren zum Vorschein kommt.
Das Gesicht der Kleinen leuchtet auf, als wäre Weihnachten. »Eine Barbie!« Das Kind sieht zwar weiß aus, aber es spricht genau wie alle farbigen Bälger.
»Wo hast du die her?«, fragt Dawn.
»Gekauft.«
»Schwachsinn.«
Er greift unter ihren Bademantel, schiebt die Hand an ihrem nackten Oberschenkel hoch und packt die Haut dicht an ihrem Schritt, spürt die rauhen Mösenhaare, als er mit Daumen und Zeigefinger ins Fleisch kneift. Fest.
Sie erstarrt, und er sieht, wie ihr vor Schmerz Tränen in die Augen schießen. Doch sie schreit nicht auf, will dem Kind keine Angst machen, das jetzt dabei ist, das Haar der blonden Puppe mit einer Bürste zu kämmen, die mit Dawns drahtigen schwarzen Locken verfilzt ist.
Vernon lässt los, und Dawn sinkt neben ihm aufs Sofa, die Knie fest geschlossen, die Hände zwischen die Beine gedrückt, als müsste sie dringend pinkeln. »Was sagst du zu dem Onkel, Brittany?« Die Stimme hell vor Schmerz.
»Danke, Onkel Vermin.«
»Vernon«, sagt er, und das Kind sieht ihn verständnislos an. Er kommt schwerfällig auf die Beine, stützt sich am Sofarücken ab, beugt sein schlimmes Bein. »Okay, Dawn, ich muss jetzt zur Arbeit. Wir sehen uns dann gleich unten.«
Dawn nickt, und Vernon geht aus der Wohnung. Als er die Tür zumacht, sieht er, wie sie ihr weißes Kind anstarrt, das die weiße Puppe kämmt. Er humpelt die Treppe runter – kein Scheißfahrstuhl –, zur Eingangshalle hinaus und durch den Verkehrsstrom über die Straße, dahin, wo die blutrote Neonreklame des Strip-Clubs geile Verheißungen in die Nacht hineinflackert.
KAPITEL 4
Nick Exley streift wie ein Schlafwandler durchs Haus. Er starrt blicklos auf das Chaos in der Küche, deren Leuchtstofflampen dem Raum alles Leben aussaugen. Ein Schlagen wie von fernen Vogelflügeln lockt ihn quer durchs Wohnzimmer auf die Veranda. Ein weißes Leinentuch schwebt wie ein Halloween-Gespenst weg vom Tisch zum Strand, flattert im Wind, der seit Sonnenuntergang an Stärke zugenommen hat. Exley hat nicht den Mut, dorthin zu gehen – dorthin, wo Sunny gestorben ist – und das Tuch zusammenzufalten und ins Haus zu bringen.
Er hört über sich die dumpfen Schritte von Carolines Füßen, die sich zwischen Schlafzimmer und Bad bewegen. Sie weichen einander aus, seit die Polizei und die Rettungssanitäter abgefahren sind und seit die Bestatter Sunny in einen kindergroßen Leichensack gelegt haben – das Reißverschlussgeräusch fetzte durch Exleys Kopf wie eine Knochensäge – und sie mitgenommen haben.
Exley merkt, wie ihn eine plötzliche Hitze durchströmt, er schafft es gerade noch rechtzeitig in die Küche, um ein saures Gebräu aus Wein, Käse und Brot auf die Tellerstapel in der Spüle zu würgen. Er
Weitere Kostenlose Bücher