Stiller
solche Hazienda besitzen können«, sagt er, »im heutigen Mexiko – unter einer Regierung, die ausdrücklich jeden Großgrundbesitz untersagt?«
»Ein Mann der Regierung selbst –«
Darauf mag mein Verteidiger nicht eingehen. Es macht ihn nervös, wenn es nicht mit rechten Dingen zugeht, und vor allem kann er als ein rechtschaffener Schweizer es nicht haben, daß man sich über Mißstände amüsiert, statt sie zu verurteilen und mit Entschiedenheit hinter den Eisernen Vorhang zu verweisen. Er hielt sich denn auch sofort mit dem Hinweis, Mexiko sei kommunistisch, eine Deutung, der ich mich aus purer Sachkenntnis nicht anzuschließen vermag; ganz abgesehen von dem Umstand, daß die mexikanischen Bodenschätze vorzugsweise in amerikanischen Händen, also vorzugsweise geschützt sind, halte ich ja den Hang zum Großgrundbesitz nicht für kommunistisch, sondern für menschlich, und warum sollten wir, frei wie wir sind, nicht über alles Menschliche reden? ... Sagt mein Verteidiger:
»Kommen wir zur Sache!«
Die Geschichte meines Hazienda-Ministers finde ich indessen so amüsant, daß ich sie nicht verschweigen kann: – Er war Fabrikant, glaube ich, von Bürosesseln, wie jeder Staat sie in großer Anzahl braucht. Er war nicht der einzige Fabrikant von Bürosesseln. Einmal zum Handelsminister erkoren, so daß er in eigener Person auf einem staatlichen Bürosessel saß, erließ er, um etwas zu machen, eine Einfuhrsperre, und groß war der Jammer aller, die Bürosessel herzustellen liebten; allenthalben begann das Material zu fehlen. Der Handelsminister hatte keinen leichten Sitz, wie man sich denken kann, und als es soweit war, nämlich als er das Material, das verknappte, in den Vereinigten Staaten drüben eingekauft und jenseits der Grenze säuberlich gestapelt hatte, konnte er nicht umhin, dem Gejammer der Konkurrenz nachzugeben, die Einfuhrsperre wurde für zwei Wochen aufgehoben. Alle anderen kamen freilich mit ihren Einkäufen zu spät, machten Bankrott und waren froh um den Trust, der sich ihnen anbot. Der Handelsminister aber, obschon ihm nichts vorgeworfen werden konnte, hatte kein Bedürfnis mehr, sich im Dienst fürs Vaterland aufzuopfern; er zog sich auf die verlotterte Hazienda zurück, womit der Staat ihn einigermaßen belohnte, und pflegte sie mit ganzer Seele und mit einigen tausend Landarbeitern, deren so malerische Strohhüte mir unvergeßlich sind. Wenn wir auf der schattigen Veranda saßen, sahen wir sie immer wie weiße Pilze draußen in blühenden und glühenden Feldern, und bald, in der Tat, war es eine vorbildliche Hazienda, ein Paradies auf Erden ...
Vom Staatsanwalt erfahren:
Gegen Anatol Ludwig Stiller, Bildhauer, zuletzt wohnhaft in seinem Atelier an der Steingartengasse in Zürich, verschollen seit Januar 1946, besteht irgendein Verdacht, der mir nicht näher genannt werden kann, solange es nicht erwiesen ist, wer ich bin. Es handelt sich dabei, scheint es, um keine Kleinigkeit. Spionage? Ich weiß nicht, was mein Vermuten gerade in diese Richtung drängt, und im übrigen kann es mir ja gleichgültig sein; ich bin nicht Stiller. Wie sehr sie’s wünschten! Er fehlt ihnen offensichtlich, ob schuldig oder nicht, wie im Schach ein kleiner Bauer: um mit einer ganzen Affäre fertig zu werden. Rauschgift-Handel? Es riecht, habe ich das Gefühl, eher politisch, wobei der Verdacht seitens der Bundespolizei (ich glaube es aus der Miene meines Staatsanwalts zu lesen) auf etwas schwachen Gründen steht; die bloße Tatsache, daß ein Mann plötzlich verschollen ist, verlockt natürlich zu Spekulationen.
PS.
Nachträglich (ich habe unterdessen wieder einmal in der Bibel gelesen) fällt mir auf, daß mich beide, mein Verteidiger sowohl wie mein Staatsanwalt, gelegentlich gefragt haben, ob ich Russisch verstehe, eine Frage, die ich mit Bedauern verneint habe. Denn Russisch soll eine großartige Sprache sein, meinte ich, überhaupt die slawischen Sprachen ... Darf man das hier nicht sagen?
Nichts bleibt mir erspart! Demnächst wollen sie mich mit der Dame aus Paris konfrontieren; nach den Bildern eine blonde oder rötliche, als äußere Erscheinung sehr liebreizende Person, etwas hager, aber graziös. Man hat ihr, wie dem Bruder des Verschollenen, ein Foto von mir geschickt. Sie behauptet, meine Gattin zu sein, und wird mit dem Flugzeug kommen.
Spazieren im Gefängnishof: – allein! Es ist sehr angenehm, doch stimmt es mich bedenklich. Die Vergünstigung zeigt, daß
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