Stiller
meinen Paß!«
Er blickte nicht einmal auf.
»Sie sind verhaftet«, sagte er, blätterte mit der linken Hand in dem Paß, um die Nummer abzuschreiben, das Datum der Ausstellung, den Namen des amerikanischen Konsuls in Mexiko, alles, was das blaue Formular in einem solchen Fall zu wissen verlangt, und sagte nicht unfreundlich: »– Setzen Sie sich.«
Meine Zelle – ich habe sie eben mit meinem Schuh gemessen, der nicht ganz dreißig Zentimeter hat – ist klein wie alles in diesem Land, sauber, so daß man kaum atmen kann vor Hygiene, und beklemmend gerade dadurch, daß alles recht, angemessen und genügend ist. Nicht weniger und nicht mehr! Alles in diesem Land hat eine beklemmende Hinlänglichkeit. Ich habe gemessen: Länge 3,10 Meter, Breite 2,40 Meter, Höhe 2,50 Meter. Ein humanes Gefängnis, man kann nichts dagegen sagen, und darin liegt die Gemeinheit. Keine Spinnweben, kein Schimmel an den Wänden, nichts, was die Empörung rechtfertigen würde! Es gibt Kerker, die gestürmt werden, wenn das Volk davon hört; hier gibt es nichts zu stürmen. Millionen von Menschen, ich weiß es, wohnen schlechter als ich. Die Pritsche ist gefedert. Das vergitterte Fenster hat Morgensonne; in dieser Jahreszeit etwa bis elf Uhr. Der Tisch hat zwei Schubladen; dazu Bibel und Ständerlampe. Und wenn ich etwas verrichten muß, habe ich nur auf einen weißen Knopf zu drücken und werde an den betreffenden Ort geführt, wo es nicht etwa alte Zeitungen gibt, die man vorher lesen könnte, sondern ein weiches Kreppapier. Und trotzdem ist es ein Kerker, und es gibt Augenblicke, da man brüllen möchte. Man tut es nicht, so wenig wie in einem Geschäftshaus; sondern man trocknet seine Hände an einem Tuch, geht auf Linoleum, sagt danke, wenn man wieder in seine Kabine geschlossen wird. Außer dem schon herbstlichen Laub einer Kastanie sehe ich nichts, auch nicht, wenn ich auf die gefederte Pritsche steige, was übrigens (mit Schuhen)verboten ist. Am meisten peinigen natürlich Geräusche unbekannter Herkunft; seit ich weiß, daß sie in diesem Städtchen noch Straßenbahnen haben, kann ich ihr Gepolter beinahe überhören. Schlimm bleibt der unverständliche Ansager aus einem nachbarlichen Radio, das tägliche Geschepper der Kehrichtabfuhr und die wilde Teppichklopferei aus hallenden Höfen. Man hat hierzulande eine fast krankhafte Angst vor dem Unrat, scheint es. Gestern sind sie dazu übergegangen, mich mit dem Gestotter eines Preßluftbohrers zu unterhalten; irgendwo reißen sie die Straße auf, um sie später wieder zu pflastern. Oft habe ich das Gefühl, der einzige mußevolle Mensch in diesem Städtchen zu sein. Nach den Stimmen auf der Straße zu schließen, wenn der Preßluftbohrer einmal aussetzt, wird hier viel geschimpft, selten gelacht. Um Mitternacht grölen die Besoffenen, weil dann sämtliche Wirtschaften geschlossen werden. Einmal singen Studenten, als wäre man im tiefsten Deutschland. Etwa um ein Uhr wird es still. Aber es nützt wenig, das Licht zu löschen; eine ferne Straßenlaterne scheint in meine Zelle, die Gitterschatten strecken sich über die Wand, knicken sich in die Decke, und wenn es draußen windig ist, so daß die Straßenlampe schaukelt, könnte man irrsinnig werden vor schaukelnden Gitterschatten. Am Morgen, wenn die Sonne scheint, liegen diese Gitterschatten wenigstens auf dem Fußboden.
Ohne meinen Wärter, der das Essen bringt, wüßte ich heute noch nicht, was hier eigentlich gespielt wird. Jeder Zeitungsleser scheint hier zu wissen, wer Stiller gewesen ist. Das macht es fast unmöglich, etwas Genaueres zu erfahren; jedermann tut, als müßte man’s wissen, und weiß selber nur Ungefähres.
»– eine Zeitlang, glaube ich, suchten sie ihn im See«, sagt mein Wärter, »aber ohne Erfolg, und dann hieß es plötzlich, er wäre in der Fremdenlegion.«
Dazu schöpft er Suppe.
»Das machen nämlich noch viele Schweizer«, unterrichtet er mich, »wenn’s ihnen hier auf die Nerven geht.«
»Daß sie sich zur Fremdenlegion melden?«
»Dreihundert in einem Jahr!«
»Warum Fremdenlegion?« frage ich.
»Weil es ihnen hier auf die Nerven geht.«
»Klar«, sage ich, »aber warum Fremdenlegion? Das ist doch noch schlimmer.«
»Mir kann es ja egal sein.«
»So«, frage ich, »und seine Frau hat er einfach in Davos liegen lassen, krank wie sie war?«
»Vielleicht war es ein Segen für sie!«
»Meinen Sie?«
»Mir kann es ja egal sein«, sagte er, »seither lebt sie in Paris.«
»Ich
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