Stiller
haben, ich sagte Herrn Dr. Bohnenblust sofort, daß mein Bruder sich meines Wissens nach seiner Rückkehr aus Spanien nicht mehr politisch und keinesfalls als Agent betätigt habe. Ich bitte Sie um Entschuldigung für den unpassenden Brief, den ich Ihnen seinerzeit geschrieben habe. Betreffend meinen Besuch, den Sie mich vorderhand wegen der Möglichkeit von Mißdeutungen zu unterlassen bitten, muß ich Ihnen leider mitteilen, daß ich, laut Schreiben des Untersuchungsrichters, von Amts wegen zu einer Konfrontation genötigt bin, ich nehme jedoch an, Sie werden diesbezüglich unterrichtet sein. Sie können sich gewiß unsere derzeitige Aufregung denken, sehr geehrter Herr, meine Voreiligkeit verstehen und entschuldigen, wobei ich nicht versäumen möchte, Ihnen für Ihren kurzen, aber trotz meines Mißverständnisses so verständnisvollen Brief zu danken, der Ihnen vermutlich schwer genug gefallen ist. In der Hoffnung, Sie empfinden es nicht als Zudringlichkeit, wenn ich unsere Einladung, nach der Haftentlassung bei uns zu wohnen, wiederhole, auch wenn Sie nicht mein verschollener Bruder sind, grüße ich Sie sowie Herrn Dr. Bohnenblust mit vorzüglicher Hochachtung und mit guten Wünschen für Ihre laufende Angelegenheit. Wilfried Stiller, Dipl. Landwirt.«
Julika weiß nichts von einer Smyrnow-Affäre, nichts Genaues. Es scheint eine politische Affäre zu sein, die vor einigen Jahren, wie man zu sagen pflegt, viel Staub aufgewirbelt hat, so viel, daß die Öffentlichkeit schließlich überhaupt nicht mehr sehen kann, was wirklich vorgefallen ist ...
Heute leider Regen!
Wir verbringen unseren Kaution-Nachmittag in ihrem Hotel. Julika hat sowieso etwas in ihrem Hotel vergessen, einen höchst dringenden Brief nach Paris, und natürlich begleite ich sie. Als der Concierge mit einer Miene, die an Zweideutigkeit nichts zu wünschen übrigläßt, mich in die Halle verweisen möchte, sagt Julika ohne Erröten: Der Herr ist meinMann! worauf der Concierge seinerseits errötet, eine Entschuldigung murmelt und mich persönlich zum Lift führt wie einen Ehrenmann. Ich nehme es als Notlüge hin, so mit Vergnügen; im Lift, allein mit Julika, lobe ich ausdrücklich ihre kecke Geistesgegenwart, rede aber später, da wir in ihrem Zimmer sind, nicht weiter von dieser Sache, was wahrscheinlich doch ein Fehler gewesen ist. Ob Julika mich wirklich liebt? Es fehlt jetzt nur noch, daß ich eifersüchtig werde! Der Mensch in Paris, dem Julika so dringende und überdies sehr dicke Briefe zu schreiben hat, heißt Dmitritsch, vermutlich ein französischer Russe von der alten Emigration, Jean-Louis Dmitritsch. Sie hat es mir nicht gesagt; ich sah es auf ihrem Brief, den sie beim Eintreten unter die weiße Handtasche gelegt hatte, um ihn nicht abermals zu vergessen, und zwar insgeheim, während Julika vor dem Spiegel sich ausgiebig kämmte, dann puderte und Rouge auflegte.
Schon wieder von der Uniform geträumt.
Spazieren im Gefängnishof, dessen Geviert mich an Kreuzgänge alter Klöster erinnert. Wer hätte nicht zuweilen den Wunsch, Mönch zu werden! Irgendwo in Serbien oder Peru, es spielt keine Rolle, überall bescheint uns die gleiche Sonne, und daß es keine Rolle mehr spielt, das wäre die Freiheit; ich weiß. Und dann wieder erinnert mich dieses Geviert meines Gefängnishofes mit den herbstlichen Zweigen mit den gurrenden Tauben und insbesondere mit der müßigen Figur, die ich dazu beitrage, an den allerdings größeren und mit Plastiken bestellten, aber gleichfalls von Fassaden und Brandmauern umfaßten Gartenhof im Museum of Modern Art, Neuyork. War ich damals freier als jetzt? Ich konnte gehen, wohin ich wollte, und doch war es eine gräßliche Zeit; eigentlich ist es gar nicht wahr, daß ich mich nach jener Zeit zurücksehne oder nach irgendeiner Zeit meines Lebens.
PS.
Julika: – entweder hat sich der verschollene Stiller, wenn er diese Frau mit einem kalten Meertier vergleichen konnte, ganz einfach getäuscht oder es lag an ihm, daß Julika keine Frau war – oder: Julika hat seit ihrem verschollenen Stiller etwas erlebt, was sie gründlich verwandelt hat. Was?
PS.
Vielleicht ist er ein Agent, dieser Jean-Louis Dmitritsch, oder der Hauswart in ihrer Tanzschule, ein Faktotum von siebenundsiebzig Jahren, und ihr Brief neulich war so dick, weil er Formulare enthielt, die Julika hatte unterzeichnen müssen – oder was weiß ich! – oder er ist ein Damenschneider, dieser Monsieur
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