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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Und um Feuer. Und damit war er zufrieden, ließ mich und ging die Avenue hinab, sah das dunkle Bündel auf dem Pflaster, trat hinzu, wie ich es nicht gewagt hatte, und ging weiter. Oben dröhnte wieder die Hochbahn. Schließlich wagte ich es ebenfalls und ging zu dem Betrunkenen, der sich nicht mehr rührte, zurück. Er lag auf dem Bauch, violett vor Kälte, und auch sein fahles Haar war blutig. Ich sah die Wunde am Hinterkopf, ich rüttelte ihn, ich hob seinen Arm; er war tot. Sein Gesicht entsetzte mich, so daß ich weiterlief, und ich meldete nichts, obzwar es der eigene Vater war.
    »Ihr Vater?«
    Er lächelt, mein Staatsanwalt. Er glaubt es nicht, scheint es, so wenig wie die Ermordung meiner Gattin. Er fragt, als habe er nicht genau gehört:
    »Ihr Vater?«
    »Mein Stiefvater«, sage ich. »Immerhin.«
    Aber auch dann, wenn er mir nicht glauben kann, ist mein Staatsanwalt sehr viel netter als mein Verteidiger; er entrüstet sich nicht, wenn unsere Begriffe von Wahrheit sich nicht immer decken. Er klopft sich eine Zigarette, sagt:
    »Solche Viertel hat meine Frau natürlich nicht kennengelernt.«
    Immer kommt er mit seiner Frau.
    »Kennen Sie Fire Island?«
    »Ja«, frage ich, »warum?«
    »Soll sehr hübsch sein, sagt meine Frau, überhaupt die Umgebung von Neuyork.«
    »Sehr hübsch.«
    »Meine Frau hatte leider keinen eigenen Wagen«, erklärt er, »aber sie fuhr doch öfter hinaus, soviel ich weiß mit Freunden.«
    »Das muß man«, sage ich.
    »Hatten Sie einen eigenen Wagen?«
    »Ich«, lache ich, »nein.«
    Irgendwie scheint ihn diese Aussage zu freuen, zu beruhigen, zu ermuntern und von einem Gedanken zu befreien, den ich nicht genau zu erraten vermag.
    »Nein«, bestätige ich, »einen eigenen Wagen hatte ich nie, jenen ganzen Sommer fuhr ich den Wagen von dem armen Dick, der krank lag.«
    Irgendwie scheint ihn diese Aussage wieder nicht zu freuen, und ich fühle nur, daß ihn meine Wochenendfahrten ziemlich interessieren. Im Sommer ist Neuyork ja unerträglich, keine Frage, und wer es irgendwie kann, fährt hinaus, sobald er frei ist. Hunderttausende von Wagen rollen am Sonntag beispielsweise über die Washington Bridge hinaus, drei nebeneinander, eine Armee von Städtern, die dringend die Natur suchen. Dabei ist die Natur zu beiden Seiten schon lange da; Seen ziehen vorbei, Wälder mit grünem Unterholz, Wälder, die nicht gekämmt sind, sondern wuchern, und dann wieder offene Felder ohne ein einziges Haus, eine Augenweide, ja, es ist genau das Paradies; nur eben: man fährt vorbei. In diesem fließenden Band von glitzernden Wagen, die alle das verordnete Tempo von vierzig oder sechzig Meilen halten, kann man ja nicht einfach stoppen, um an einem Fichtenzapfen zu riechen. Nur wer eine Panne hat, darf in den seitlichen Rasen ausrollen, muß, um das fließende Band nicht heillos zu stören, und wer etwa ausrollt, ohne daß er eine Panne hat, der hat eine Buße. Also weiterfahren, nichts als weiterfahren! Die Straßen sind vollendet, versteht sich, in gelassenen Schleifen ziehen sie durch das weite und sanfte Hügelland voll grüner Einsamkeit, ach, man müßte bloß aus dem Wagen steigen können, und es wäre so, wie es Jean Jacques Rousseau sich nicht natürlicher erträumen könnte. Gewiß gibt es Ausfahrten, mit Scharfsinn ersonnen, damit man ohne Todesgefahr, ohne Kreuzung, ohne Huperei abzweigen und über eine Arabeske großzügiger Schleifen ausmünden kann in eine Nebenstraße; die führt zu einer Siedlung, zu einer Industrie, zu einem Flughafen. Wir wollen aber in die schlichte Natur. Also zurück in das fließende Band! Nach zwei oder drei Stunden werde ich nervös. Da alle fahren, Wagen neben Wagen, ist jedoch anzunehmen, daß es Ziele gibt, die diese Fahrerei irgendwann einmal belohnen. Wie gesagt: immerfort ist die Natur zum Greifen nahe, aber nicht zu greifen, nicht zu betreten; sie gleitet vorüber wie ein Farbfilm mit Wald und See und Schilf. Neben uns rollt ein Nash mit quakendem Lautsprecher: Reportage überBaseball. Wir versuchen vorzufahren, um den Nachbar zu wechseln, und endlich gelingt es auch; jetzt haben wir einen Ford an der Seite und hören die Siebente von Beethoven, was wir im Augenblick auch nicht suchen, sondern ich möchte jetzt einfach wissen, wohin diese ganze Rollerei eigentlich führt. Ist es denkbar, daß sie den ganzen Sonntag so rollen? Es ist denkbar. Nach etwa drei Stunden, bloß um einmal aussteigen zu können, fahren wir in ein sogenanntes Picnic-Camp. Man zahlt

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