Stille(r)s Schicksal
wegen ihr könne er sein Haus nicht in Ordnung halten, wegen ihr könne er überhaupt nicht von zu Hause weg, wegen ihr habe er nicht einmal Freunde, redete er sich ein.
Wie einsam kamen ihm jetzt seinen heimlichen Freuden im Keller vor. Ganz dumpf ahnte Sven, dass er im Begriff war unterzugehen. Er wollte sich irgendwo festhalten, wusste aber nicht, woran.
Sven hatte inzwischen die Schuhe ausgezogen und stieg in Strümpfen leise die ersten Treppenstufen hoch.
„ Hier nehmen Sie die“, sagte jemand hinter ihm, Mutter Hoffmann stellte ihm ein Paar grüner Filzpantoffeln vor die Füße, zwinkerte ihm zu und war auch schon wieder verschwunden.
„ Danke", rief er ihr nach, denn es tat ihm gut, so bemuttert zu werde. Die kleinen Härchen vom Filz kitzelten seinen rechten großen Zeh. Mist, dachte er, sie hat das Loch im Strumpf bestimmt gesehen.
Ob die Pantoffeln wohl nach jedem Besuch desinfiziert werden, fragte sich Sven, um nicht ganz und gar in Scham und Rührung zu versinken. Das werde ich bestimmt nie tun, dachte er, aber etwas mehr Ordnung als bisher wolle er ab morgen unbedingt halten. Vielleicht fühlt sich die Laura dann auch wohler und tyrannisiert mich nicht mehr mit ihrem Geschrei. Doch vorerst schrie sie ja nicht, jedenfalls hörte er es nicht - und bis zu ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus würde noch so viel Zeit vergehen.
Im Obergeschoß wurde Sven mit einem mäßig begeisterten Hallo begrüßt.
Als Udo ihn fragte, was er trinken wolle, antwortete er zum Erstaunen der anderen klar und deutlich: „Am besten O-Saft oder Wasser!"
Karsten und Udo tauschten verständnisinnige Blicke. Sprach man nicht im Dorf davon, dass der Alkohol den Stiller beim Wickel hätte? Doch sie hüteten sich, ihre Gedanken laut auszusprechen. Udo stellte süffisant grinsend ein hohes schmales Glas, gefüllt mit dickflüssigem Orangensaft, vor Sven hin, sich selbst und Karsten stellte er ein weiteres Bier vor die Nase.
Karsten hat schon die Karten ausgeteilt, die drei nahmen sie schweigend auf und begannen ihr Spiel.
***
Schon am nächsten Tag begann Sven, seine guten Vorsätze in die Tat umzusetzen. Das heißt, er fing im Schlafzimmer an, die Fensterrahmen abzuwaschen. Dabei merkte er, dass sich der Schmutz gar nicht richtig lösen wollte. Aha, kein Fit im Wasser, fiel ihm ein. Also warf er den Lappen in den Eimer, ging die Treppe wieder hinunter, um aus der Küche das Spülmittel zu holen. Als ihm beim Öffnen der Schranktür eine Menge Kram entgegen fiel, wurde ihm sofort klar, dass der Schrank unter der Spüle unbedingt einmal aufgeräumt werden müsste. Das wollte er auch gar nicht erst auf die lange Bank schieben und machte sich an die Arbeit.
Dabei entging ihm nicht, dass einige leere Flaschen aussortiert werden mussten. Doch was war das da? Hinten, in der äußersten linken Ecke entdeckte er eine Wodkaflasche mit einem kleinen Rest. Schwankend zwischen Unmut und Freude, fragte er sich, wer die Flasche denn dort versteckt haben könnte. Er pendelte ein wenig damit herum, das Wässerchen schwappte innen von hier nach da, kaum zu sehen in dem klaren Glas. .
Mit dieser Neige konnte er die Flasche natürlich nicht zu anderen legen und in den Container bringen, also schraubte er den Verschluss ab und leerte den Rest aus der Flasche mit einem gierigen Zug.
Dann kramte er, wieder etwas schläfrig geworden, weiter, hielt sich mit allen möglichen Arbeiten auf, bis es letztlich zu dunkel geworden war, um die Fensterrahmen noch zu säubern. Wütend knallte er die Fitflasche wieder in den Schrank, so dass sie umfiel und die grüne Flüssigkeit unter der Schranktür hervorquoll. Die daraus entstandene kleine Pfütze sah aus wie Amerika. Sven grinste.
„ Jawoll, auswandern müsste man, auswandern nach Amerika! Das wäre überhaupt das Allerbeste!"
Sollten sich doch andere um solchen Kleinkram wie Fenster putzen und Aufräumen kümmern.
An seine Tochter Laura dachte er in diesem Moment mit keiner Silbe.
Ein einziger Schluck Wodka hatte ausgereicht, um sie aus seinem Gedächtnis und wohl auch aus seinem Herzen zeitweilig zu löschen.
***
An den folgenden Tagen fand Sven nur sehr schwer aus dem Bett, weil er am Abend zuvor der Verlockung aus dem Keller nicht hatte widerstehen können. Immer öfter blieb er nachts gleich unten, schließlich hatte er auch dort eine Matratze, auf der es sich gut räkeln ließ.
Wenn er dann, meist erst so gegen Mittag, am nächsten Tag aufstand, nahm das Heizen sehr
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