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Stillmanns Münzen (German Edition)

Stillmanns Münzen (German Edition)

Titel: Stillmanns Münzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Sidjani
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ein Hirngespinst war. Und vielleicht hatte gar nicht mein Stillmann ein Ticket gekauft, und ihre Fantasie spielte ihr Streiche. 
    „Lass uns wieder nach oben“, sagte ich, „ich muss ihn sehen.“
    Zum ersten Mal sah ich so etwas wie Interesse in ihren Augen, Interesse an mir. Ich klang mutig. Das Interesse blitzte nur kurz auf, aber es war da, ich bin mir sicher.
    Wir betraten den Fahrstuhl und drückten die Zwei. Die Türen schlossen sich. Wieder mit ihr allein, so nah, duftend. Der Fahrstuhl fuhr los und kam ganz abrupt zum Stehen. Genau wie an dem Tag, als ich meine Münze fand. Aber noch mehr. Das Licht ging aus, alles aus. Sie stieß einen kurzen Schrei aus.
    „Was ist hier los?“, fragte sie.
    Stromausfall, dachte ich, aber ich sagte nichts, sondern streckte meine rechte Hand nach ihr aus, dorthin, wo ich sie vermutete. Ich erreichte ihren linken Oberarm, den ich ganz behutsam streichelte. Ich machte ,Psst' und ging einen Schritt auf sie zu, mehr brauchte es nicht, dass sich unsere Körper berührten. Sanft drückte sie sich gegen mich, ihren Unterleib gegen meinen. Ich legte meine Arme um sie und unsere Lippen fanden sich trotz der Dunkelheit. Uns beide verlangte es nach mehr als Küssen. Ihre Hände legten sich auf meinen Hintern, meine wanderten zu ihren Brüsten, zwischen die Beine, zum Knopf und Reißverschluss der Jeans. Uns war es gleich, dass es kein Licht gab. In diesem Augenblick hätte die Welt untergehen können.
    Im nächsten Augenblick erwachte ich aus meinem Tagtraum, als sie ihr Feuerzeug anzündete, um etwas sehen zu können.
    „Meinst du, der Strom ist überall ausgefallen? Ich kann kein Licht durch den Spalt sehen.“
    Da drangen Stimmen an unsere Ohren, dumpf nur, aber laut genug, um Panik in ihnen zu erkennen. Wir verbrachten fast zwei Stunden in dem Fahrstuhl. Stillmann wurde zu einem Gespenst, das wir nicht weiter beachteten. Ich denke, wir sollten ihm nicht mehr begegnen, aber was wäre jetzt anders, wenn doch? Ich würde nicht schreiben.
    Das Einzige, womit wir uns dort im Dunkeln beschäftigten, war unser Lieblingsthema Filme. Wir erinnerten uns an ,Fahrstuhl des Grauens' oder ,Abwärts', bis wir schließlich, unter Taschenlampenlicht, von der Feuerwehr befreit wurden. Überall sei der Strom ausgefallen, hieß es, und daher Feierabend für uns. Einmal der engen Kabine entkommen, verabschiedeten wir uns unverbindlich.
    Eine Stadt in Dunkelheit, ohne Straßenlicht und Häuserbeleuchtung, ist ein seltenes Phänomen. Hunderte von Menschen waren unterwegs, weil die Bahnen nicht mehr fuhren und die Busse überfüllt waren. In vielen Gesichtern erkannte ich Furcht oder Panik. Als würde die Welt untergehen. Auf meinem Weg nach Hause benutzte ich Seitenstraßen, die noch düsterer waren als die Hauptstraßen. Nur ab und an geisterten die Scheinwerfer eines Autos durch die Schwärze und erleuchteten stille Szenen dieser Nacht ohne Ende. Je länger ich ging, desto mehr wurde ich der vielen Kerzen gewahr, deren Schein durch die Fenster der Häuser zu sehen war. Es scheint mir das erste Mal zu sein, dass ich meine Stadt poetisch finde, aber ich hoffe, die Energie-Multis kriegen das bald wieder in den Griff, sonst gibt es Chaos nicht nur in meinem Kühlschrank.
    Fast augenblicklich begann ich zu schreiben, als ich nach Hause kam, jetzt sind es ungefähr acht Stunden am Stück. Ich sollte mal was essen, aber bisher konnte oder wollte ich nicht. Ich habe nicht mal viel geraucht, seit ich begann. Wie im Wahn, nenne ich das ja. Aber jetzt kann ich endlich aufhören, es ist alles erzählt, was erzählt werden musste.
     

Epilog
     
    Oder doch nicht?
    Ich habe wieder Endschicht. Der Stromausfall währte nur zwei Tage. Alles ist wie immer, Alltag.
    Seit der Nacht, in der ich alles aufschrieb, sind bestimmt drei Monate vergangen, und weil ich heute meinen Spind aufräumte, fiel mir dieses Notizheft in die Hände. Ich habe es nicht abgetippt. Das war mir zu mühsam. Ich nahm es damals mit zur Arbeit, weil ich es ihr ausleihen wollte. Was ich mich bis heute nicht getraut habe. Sie würde schließlich erfahren, was ich für sie empfinde, auch wenn sie das schon weiß. Sie ist ja nicht dumm. Unsere Beziehung hat sich seit der Nacht, in der der Strom ausfiel, nicht intensiviert. Wie ich schon schrieb, alles ist wie immer, auch mit ihr.
    Nun, nicht alles. Mir ist etwas Seltsames passiert. Seit ich über Michael und das Mysterium 1973 geschrieben habe, blieb mein Begleiter fort. Als würde ich ihn nicht

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