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Stillmanns Münzen (German Edition)

Stillmanns Münzen (German Edition)

Titel: Stillmanns Münzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Sidjani
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mehr interessieren. Zu Beginn war ich irritiert, dass seine innere Stimme fehlte. Kein Wort mehr vom Sterben der Menschen, kein Drang, darüber zu berichten. Auch wenn er Jahre bei mir gewesen war, vermisse ich ihn nicht. Ich schreibe nicht mehr und das kommt dem Aufheben eines Fluches gleich. Diese Sätze sind die ersten, die ich seit drei Monaten schreibe, und es fühlt sich richtig an, so lange gewartet zu haben. Eigentlich hatte ich dieses Notizheft schon vergessen. Man sagt ja, das Schreiben helfe zum Verarbeiten und Entwickeln, aber weil es keine Zufälle gibt, räumte ich ausgerechnet heute meinen Spind auf. Heute, da Stillmann hier ist.
    Er fiel mir sofort auf, schließlich kommen dieser Tage nicht viele zu uns, Sommerloch. Meine anfängliche Furcht verschwand, als ich bemerkte, dass er mich nicht erkannte. An manchen Tagen wünsche ich, mir alles nur eingebildet zu haben, aber dann schaue ich auf meine Münze und weiß es wieder. Ich benutze sie nur noch selten. Auch das hat sich geändert. Es mag schon einige Wochen her sein, als ich sie warf, und das zu einer banalen Frage. Die letzte, echte Frage, die ich ihr stellte und an die ich mich gut erinnern kann, war, ob ich über sie schreiben soll. Danach verschwanden mein Begleiter und der Drang, die Münze zu werfen.
    Münze und der Tod, sie haben viel gemeinsam. Das wurde mir klar. Ich fühle mich so dumm, mich und mein Leben tagein, tagaus einer Fünfzig-Fünfzig-Chance ausgesetzt zu haben. Vielleicht werde ich sie noch ein einziges Mal werfen, und zwar aus dem Fenster.
    Immer wieder sehe ich Stillmann auf der Straßenseite gegenüber meiner Eingangstür und seine Münze werfen. Dieses Bild verfolgt mich bis heute. Als hätte ich eine fixe Idee durch eine andere ersetzt. Und ich sehe ihn noch immer jeden Tag am Bahnhof, nein, nicht sehen, er ist zu einem Beiwerk meines Lebens verkommen, wie meine Kollegen. Stillmann ist einfach da, eine Konstante, die nicht weichen will. Und erst heute wurde mir das, was ich erlebte, wieder so lebhaft in Erinnerung gerufen, als würde ich wieder mit ihr in den Fahrstuhl steigen und angespannt auf seine Erscheinung im Foyer lauern. Aber heute riss ich sein Ticket entzwei wie jedes andere, ein einfacher Gast ist er jetzt. Kein Donut, kein Trinkgeld, keine Münze.
    Aber da ist etwas anderes, eine Wahrheit, die unter unserer Oberfläche darauf wartet, entdeckt zu werden. Das ist, was mir keine Ruhe ließ und warum ich mein Notizheft mit nach vorne nahm und schrieb. Ich würde gern mit ihr jetzt reden, aber sie ist im Urlaub, jedenfalls fehlt sie seit ein paar Tagen auf der Arbeit. Meine einzige Verbündete, wem sonst kann ich berichten? Nur dir.
     
    Wie viele Tage später? Ich weiß es nicht. Doch ich weiß jetzt, wo Stillmann wohnt. Hätte ich mir denken können, er steht doch jeden Tag am Bahnhof. Seine Wohnung befindet sich hier, im mittleren Tower von Mundsburg. Hab ich vom Portier erfahren. Ich treffe ihn ja ab und zu am Fahrstuhl und so habe ich wie beiläufig die richtigen Fragen gestellt. Es fiel ihm nicht auf, dass ich ihn ausfragte. Dieses Mysterium hält mich so fest, dass ich einen Mut aufbringe, den ich mir gar nicht zugetraut hätte. Ich werde versuchen, in Stillmanns Wohnung zu gelangen. Dann lässt mich auch das in Ruhe und ich brauche sein Gesicht, seine Gestalt in meiner Straße, nicht mehr jede Nacht sehen. Es hält mich so oft wach, dass ich vergesse zu schlafen. Wenn ich mehr über ihn herausgefunden habe, werde ich wieder darüber schreiben, und diese Geschichte ein für alle Mal beenden. So kann ich nicht weiter machen. Mit einem Besuch im Tower wird sich mein Leben endlich ändern. Befreit werde ich sein. Das verspreche ich mir.
     

Ende?
     
    Der mittlere Turm
    Leseprobe:
     
    Wenn ein sogenannter Prominenter sich das Leben nimmt, wird das medial ausgeschlachtet. Dann interessieren sich die Leute für die Warums und Wies, und ob es nicht zuvor Anzeichen gab. Und nur dann, wie zuletzt bei diesem Torwart, wird darauf hingewiesen, dass es Jahr für Jahr zu viele Selbstmorde gibt. Die meiste Zeit aber wird das Thema ausgeblendet, den Leuten macht es Angst, und was Angst macht, gehört ignoriert oder gar eliminiert, doch Letzteres bleibt beim Monstrum Selbstmord unmöglich. Wie zu Weihnachten konzentrieren sie sich nur für eine sehr kurze Zeit auf die wichtigen Dinge im Leben und das mag ein Grund sein, warum Suizid-Gefährdete bis zu ihren Taten meist unentdeckt bleiben.
    Mein bester Freund nahm sich das

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