Stillmanns Münzen (German Edition)
jeweiligen Kinosaals eilen. Als der 'Main Walk' vorüber ist und das Foyer gereinigt, ist die Begegnung wieder vergessen. Sie wartet nur im Hinterkopf und in Michaels Hosentasche in Form von Kleingeld, dessen Klimpern ihm auffällt, als er nach hinten zum Pausenraum geht. Er macht sich ein Fertigessen in der Mikrowelle warm (ebenfalls aus dem Supermarkt) und greift gedankenverloren in seine Tasche.
Der Mann schenkte ihm vier Münzen und die Begegnung ist wieder so klar in seinem Kopf, als würde sie gerade geschehen. So wirklich, wie er sich den Mann vorher ausgedacht hat. Er betrachtet die Münzen und erst fühlt er nur, dass etwas an dem Anblick nicht stimmt, bis sich ein ,Quarter Dollar' im Hintergrund zeigt, ein Detail, das die ganze Zeit schon war. Da erinnert Michael die andere Münze, die erste, die noch immer in seinem Spind wartet.
Ein weiterer ,Quarter Dollar', Monate später, nachdem Michael den ersten fand, wäre an sich keine Besonderheit. Diese Münzen zirkulieren sicherlich auf der ganzen Welt und als Andenken an USA-Besuche finden sie sich in unzähligen Brieftaschen deutscher Bürger. Doch Michaels Überraschung wächst, als er die Kopfseite betrachtet (das Negierende, das Gottesvertrauen) und unter dem Konterfei des ehemaligen amerikanischen Präsidenten ihm vier vertraute Ziffern entgegen lächeln: 1 9 7 3.
Er muss sich sofort versichern, dass er die andere Münze richtig in Erinnerung hat. Michael vergisst, dass sein Essen jeden Moment fertig sein wird, und hechtet aus dem Pausenraum, rempelt fast einen Kollegen an, er sieht nicht hin, wen, und läuft den kurzen Gang entlang zum Umkleideraum der Männer. Er öffnet das Zahlenschloss seines Spinds, reißt die Tür auf und holt Tasche und Kleidung heraus, um an das Wenige zu gelangen, was er dort täglich aufbewahrt, auch wenn er nicht da ist.
In einem rechteckigen, weißen Umschlag sind seine Reliquien des Kinos, was er so fand im Laufe der Jahre und was nicht mehr zurück verlangt wurde: ein Stift von Montblanc, ein rotes Notizbuch, das er beizeiten mal lesen wollte, eine spinnenförmige Haarspange und andere, noch viel unwesentlichere Dinge, und darunter auch, er erfühlt sie zwischen einer Kondompackung und einem Feuerzeug, die silberne Münze, die er fand. Und dann steht er da, im Umkleideraum, in der rechten Hand die Münze, die der Mann ihm gab, in der linken, die er fand, und, ja, auch dieser ,Quarter Dollar' ist aus dem Jahre 1973. Natürlich ist er das!
Während er die beiden Münzen betrachtet, sie sind identisch, denkt er, reizt ihn der Impuls, sie zusammen zu legen, Kopf an Kopf oder Adler an Adler, auf dass die Brüder endlich wieder vereint sind. Und als er es tut, fühlt er, wie richtig es ist, Silber an Silber, und er fühlt einen nächsten Impuls, aber der befremdet ihn und darum gibt er ihm nicht nach. Stattdessen steckt er die Münzen, wieder getrennt, jeweils in eine Hosentasche, rechts die alte, links die vom hageren Mann. Ja, das fühlt sich gut an.
So geht er, nachdem er seinen Kram zurück in den Spind gesteckt und abgeschlossen hat, wieder seiner Arbeit nach, als wäre nichts geschehen. Nur dieser Impuls, dieses schleichende Gefühl, etwas ganz Bestimmtes mit den Münzen tun zu müssen, damit es einen Sinn ergibt, dass er jetzt zwei besitzt, dieser Impuls lässt ihn nicht los.
III
Zwei Münzen! Ich habe bisher keine zweite gefunden, aber das ist nicht entscheidend. Warum, so frage ich mich, vergaß ich Michaels Geschichte, nur um später festzustellen, dass ich selbst eine Münze gefunden hatte, die ich mir eigentlich ausgedacht hatte? Welchen Spaß machte sich mein Begleiter da mit mir? Gönnte er mir keine eigenen Geschichten? Bevor ich Michaels Idee wieder fand, glaubte ich zumindest, die Münze gehörte nur mir allein. Ich gab sie nicht mehr aus der Hand. Nicht einmal, als sie mich danach fragte.
„Die ist doch sowieso nichts wert“, kommentierte sie mein Weigern und ich ahnte schon, wie falsch sie mit dieser Aussage lag.
Es gibt so wenig Unbezahlbares heutzutage. Alles ist zu erwerben, aber echte Entscheidungen, Schicksal? Nie wird jemand dafür genug an Geld besitzen. Es ist wie diese Momente, wenn ich schreibe und woanders versinke. Das hat keinen Preis. Auch jetzt, während Hamburg im Dunkeln liegt, bleibt das Schreiben als ein Geschenk meines Gehirns. Oh, habe ich einen meiner helleren Momente, in denen ich weder der Münze noch dem Tod danke? Danke mir!
Wenn solch ein gutes Gefühl in mir
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