Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stine

Stine

Titel: Stine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
selben Augenblick aber, wo Stine, voranschreitend, den Grafen in ihr Zimmer führte, wandte sie sich ebenfalls in ihre halbdunkle Stube zurück, in der auf einem kienen Klapptisch bereits das Abendbrot für ihren Mann stand: ein Bückling und ein rundes Landbrot, von dem sie jedesmal zwei kaufte, »weil sich das frische zu sehr wegschneide«.
    »Na«, sagte Polzin, »was meinst du, Mutter? Drei Mark mehr is nu woll nich zuviel?«
    »Drei...? Wo denkst du hin? Wenigstens fünfe. Man bloß, daß es noch nich sicher is. Er war so zittrig und bibberte so.«
    Und bei diesen Worten legte sie das Ohr wieder an die Wand, während Polzin, der mit seiner Klapperei die Horcherszene nicht stören wollte, von seiner Arbeit aufstand und sich an sein Abendbrot machte.
     
Achtes Kapitel
     
    Der unerwartete Besuch war inzwischen in das Frontzimmer eingetreten, und während Stine wieder auf das Fenster und ihre hier aufgestellte Rahmenstickerei zuschritt, forderte sie den jungen Grafen auf, auf dem schräg zur Seite stehenden Sofa Platz zu nehmen. Er lehnte dies aber ab und schob statt dessen einen Stuhl in die Nähe Stines, die sich ihrerseits sofort wieder ihrer Arbeit zuwandte, freilich in sichtlicher Erregung. Die Nadel flog, und der orangefarbene Faden von Flockseide blitzte bei jedem neuen Stich, den sie machte.
    »Nun, Herr Graf«, begann sie, während sich ihr Kopf immer tiefer auf die Stickerei senkte, »was verschafft mir die Ehre? Was führt Sie zu mir?«
    Aber ehe der, an den sich die Frage richtete, noch antworten konnte, fuhr sie schon mit einer ihr sonst fremden Lebendigkeit fort: »Ich glaube, Sie verkennen mich. Sie mögen darüber lachen, aber ich bin ein ordentliches Mädchen, und ist keiner in der Welt, der hintreten und zu mir sagen kann: ›Du lügst.‹ Ich sehe ja, wie's geht... nein, nein, lassen Sie mich ausreden..., und solch ein Leben, wie's meine Schwester führt, verführt mich nicht; es schreckt mich bloß ab, und ich will mich lieber mein Leben lang quälen und im Spital sterben als jeden Tag alte Herren um mich haben, bloß um Unanständigkeiten mit anhören zu müssen oder Anzüglichkeiten und Scherze, die vielleicht noch schlimmer sind. Das kann ich nicht, das will ich nicht. Und nun wissen Sie, woran Sie sind.«
    »Fräulein Stine«, sagte der junge Graf, »Sie sagen, ich irrte mich in Ihnen. Ich glaube nicht, daß ich mich in Ihnen irre. Aber selbst wenn es so wäre, so lassen Sie mich Ihnen sagen, Sie irren sich auch in mir. Ich komme zu Ihnen, weil Sie mir gefallen und mir eine Teilnahme eingeflößt haben, oder lieber rundheraus, weil Sie mir leid tun. Ich hab es Ihnen wohl angesehen, daß an dem Abende neulich nicht alles nach Ihrem Sinn und Geschmack war, und da nahm ich mir vor, du willst sehen, wie's dem Fräulein Stine geht. Ja, Fräulein, das nahm ich mir vor, und wenn ich Ihnen helfen kann, so
will
ich Ihnen helfen und Ihnen Ihre Freiheit wiedergeben und Sie losmachen aus dieser Umgebung. Ich glaube, daß ich es kann, trotzdem ich kein Prinz bin und noch weniger ein Wundertäter. Und Sie dürfen auch nicht fürchten, daß ich eines Tages mit der Absicht kommen werde, mir einen schönen Dank dafür zu holen. Nein, nichts davon. Ich bin krank und ohne Sinn für das, was die Glücklichen und Gesunden ihre Zerstreuung nennen. Eine lange Geschichte, womit ich Sie nicht behelligen will, wenigstens heute nicht.«
    Er hatte sich, während er diese letzten Worte sprach, erhoben und sah, seine Hand auf Stines Stuhl lehnend, in den Sonnenball, der eben zwischen den nach Westen stehenden Bäumen des Invalidenparks niederging. Alles schwamm in einem goldenen Schimmer, und das Schweigen, in das er verfiel, zeigte, daß er auf Augenblicke von nichts als von der Schönheit des sich vor ihm auftuenden Bildes hingenommen war. Endlich aber nahm er sich Stines Hand und sagte: »Was hab ich da gesprochen von Freiheit geben und Sie wieder losmachen wollen! Geben Sie mir keine Antwort darauf. Alles falsch und eingebildet und töricht dazu. Weil ich mich selber hilfebedürftig fühle, war ich wohl des Glaubens, Sie müßten auch hilfebedürftig sein. Aber ich empfinde mit einem Male, daß Sie's
nicht
sind, daß Sie's nicht sein können.«
    Stine lächelte vor sich hin. Der junge Graf aber, der es nicht sah oder nicht sehen wollte, fuhr in dem ihm eigentümlich elegischen Tone fort: »Ja, Fräulein Stine, das Kranksein, das eigentlich von Jugend auf mein Lebensberuf war, es hat auch seine Vorteile; man kriegt

Weitere Kostenlose Bücher