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Stine

Stine

Titel: Stine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Regierungsantritt des Großen Kurfürsten hätten sie die Zahl voll gehabt. Und in derselben riesigen Proportion, wie die Ahnenreihe, sei auch die Stultitia gewachsen, die einzig historisch beglaubigte Ahnfrau des Geschlechts. ›Und nun passen Sie auf, Papageno‹ (so schloß er), ›
wir
erleben es freilich nicht mehr und können es nur von einem andern Stern aus – vielleicht von der Venus, was mir das liebste wäre – beobachten, aber das sag ich Ihnen, diese Balletteuse bringt die ganze Sippe wieder auf die Beine, der ganze Stammbaum, der gerade deshalb für uns und die Menschheit so dürr ist, weil er für sich selbst so wunderbar grünt und blüht, kriegt wieder ein andres Ansehn, und wo bis jetzt immer nur Landrat oder Deichhauptmann stand, stehen, von Anno 1900 an, junge Genies, Feldherrn und Staatsmänner, und irgendein Skriblifax schreibt ein dickes Buch und beweist durch Grabschriften und Taufscheine, daß die Duperré die Tochter oder Enkelin des Admirals Graf Duperré gewesen sei, desselben prächtigen alten Duperré, der 1830 Algier bombardierte, den Dey von Tunis gefangennahm und fast so vornehm war wie die Montmorencys oder die Lusignans. Glauben Sie mir, Baron, ich kenne Familien und Familiengeschichten, und mein Wort zum Pfande, wo das alte Blut nicht aufgefrischt wird, da kann sich die ganze Sippe begraben lassen. Und behufs Auffrischung gibt es nur zwei legitime Mittel: Illegitimitäten oder Mesalliancen. Und sittenstrenger Mann, der ich bin, bin ich natürlich für Mesalliancen.‹«
    Waldemar sah vor sich hin. Dann nahm er das Wort und sagte: »Wohl, ich könnte mir einen Trost und eine Hoffnung daraus nehmen und eine freundliche Aufnahme beim Onkel wenigstens als eine Möglichkeit gewärtigen. Aber muß ich Sie, lieber Baron, an den alten, unserm gesamten Adel so geläufig gewordenen Satz erinnern: ›Ja, Bauer,
das
ist was andres.‹ Immer der andre, der andre. Was für die Schwilows gilt, gilt darum noch nicht für die Halderns. Dem ›andern‹, so denkt jeder einzelne, darf alles passieren, aber nicht ihm selbst. Es ist eine merkwürdige Erscheinung, mit welcher Gleichgültigkeit alte Familien sich gegenseitig beurteilen und welches Arsenal von Spott verschossen wird, die sich gleichdünkenden und mitbewerbenden Mächte zu ridikülisieren. Aber dieser Spott, ich muß es noch einmal sagen, ist immer nur für den ›andern‹ da. Was kümmern meinen Oheim die Schwilows? Je mehr Balletteusen, desto besser, denn mit jeder neuen Balletteuse hat er nicht bloß einen neuen Stoff für die Klubmedisance, sondern auch eine beständig erneute Veranlassung, sich mit immer wachsendem Stolze des ungeheuren Unterschiedes zwischen den verduperréten Schwilows und den oberpriesterhaft rein gebliebenen Sarastro-Haldern bewußt zu werden. Das zieht sich durch alle Adelsgeschichten, wiederholt sich bei jeder Familie: je freier in der Theorie, desto befangener in der Praxis, desto enger und ängstlicher in der Anwendung auf das eigne Ich.«
    »Es ist, wie Sie sagen, Waldemar, und ich mag mich nicht verbürgen, daß es mit Ihrem Onkel anders steht. Aber steh es mit ihm, wie's wolle, Sie müssen ihm unter allen Umständen das Wort gönnen. Es bleibt doch immer die Möglichkeit seiner Zustimmung, und versagt er sie, nun so war es am Ende bloß der Onkel, bloß eine halbe Respektsperson, der man, wenn es zu toll kommt, den Respekt auch kündigen kann. Und da liegt der Unterschied zwischen Onkel und Vater. Einem Vater gegenüber, und wenn er einem das Furchtbarste sagt, muß man sich ruhig verhalten und sich das Furchtbarste gefallen lassen, das verlangt so das vierte Gebot. Aber das vierte Gebot schneidet scharf ab und versteigt sich, soweit mir bekannt ist, nirgends zu dem Zusatzparagraphen: ›Du sollst Onkel und Tante ehren.‹ Und das ist ein wahres Glück. Gott, Tante! Ich hatte auch mal eine, eine merkwürdige Frau, die Gott weiß was von mir verlangte, nur nicht das eine, daß ich sie ehren sollte. Beinah das Gegenteil. Nein. Onkel und Tante sind hors de concours. Einem Onkel gegenüber kann man sich seiner Haut wehren, einem Onkel kann man antworten und widersprechen und steht schlimmstenfalls Mann gegen Mann, und wär es mit dem Pistol in der Hand. Also nur vorwärts, Waldemar, vorwärts.«
    Der junge Graf erhob sich, der Baron aber wollte von Aufbruch noch nichts wissen und drückte seinen Gast leise wieder in das Sofa zurück. »Ich bitte Sie, Waldemar, Sie werden doch nicht gehn, ohne meinen Lafitte

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