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Stirb, mein Prinz

Stirb, mein Prinz

Titel: Stirb, mein Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Carver
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gepflegt. Phil beugte sich vor und betrachtete sie aus der Nähe. Sie war tadellos sauber, allerdings wies das Holz an einigen Stellen dunkle Flecken auf, und die Oberfläche war von Messerschnitten schartig und zerschrammt. Er unterdrückte ein Schaudern.
    Hinter der Werkbank, an der Wand gegenüber, befand sich der Käfig. Phil trat auf ihn zu und blieb davor stehen wie ein Raumfahrer vor einem außerirdischen Artefakt, von dem er nicht weiß, ob er es anbeten oder zerstören soll. Die Grundfläche des Käfigs nahm fast ein Drittel des Kellers ein. Das Gitter ging von einer Wand zur anderen und reichte vom Boden bis zur Decke. An den Seiten waren die Knochen in die Wand eingelassen und mit Mörtel verputzt. Zusammengehalten wurden sie durch etwas, das aussah wie schmale Streifen Tierhaut. Die Knochen waren unterschiedlich groß, aber allesamt lang und schwer. Exakt verarbeitet. Eine solide Konstruktion aus sich kreuzenden Stäben, die ein Gitter aus gleich großen Quadraten bildeten. Der Käfig musste sehr alt sein. Einige der Knochen waren abgegriffen und glatt und im Laufe der Zeit von Weiß zu Grau verblichen. Andere waren wesentlich neuer und noch fast weiß. Und er musste über Jahre hinweg instand gehalten worden sein. An einigen Stellen waren Ausbesserungen vorgenommen worden, dort fielen die neueren, helleren Knochen zwischen den alten, dunkleren auf. Brüchige oder gesplitterte Knochen waren zur Verstärkung umwickelt worden. Ein kleinerer Gitterrahmen, ins große Gitter eingelassen, bildete die Tür. An einer Seite dienten Bänder als Türangeln, an der anderen war die Tür durch eine Kette mit Vorhängeschloss gesichert.
    Die Knochen … die passenden Größen und Formen auszuwählen … sie alle sorgfältig miteinander zu verbinden … Phil versuchte sich all die Arbeit vorzustellen, die so etwas machen musste. Die Zeit, die sie kosten würde. Die Art von Mensch, die sich etwas Derartiges ausdachte … Es gelang ihm nicht. Er schüttelte den Kopf, konzentrierte sich und untersuchte den Käfig genauer.
    »Das ist was fürs Leben«, meinte eine Stimme. »Britische Wertarbeit.«
    Er wandte sich um. Neben ihm stand Detective Sergeant Mickey Philips. Der unbekümmerte Ton war nur Fassade. Mickeys Augen blieben davon unberührt. Ebenso angewidert wie fasziniert betrachtete er den Käfig.
    »Wieso Knochen?«
    »Was?«
    »Das muss doch einen Grund haben, Mickey. Wer auch immer das Ding gebaut hat, will uns damit etwas sagen.«
    »Okay. Aber was?«
    »Ich weiß es nicht. Aber er hätte doch Holz verwenden können oder Eisen, was auch immer. Stattdessen Knochen. Wieso?«
    »Keine Ahnung.«
    »Ich auch nicht.« Phils Blick glitt über die Gitterstäbe. »Noch nicht.« Erneut schaute er sich im Keller um. Sah die Blumen, die Werkbank. »Der Käfig, der ganze Raum hier … das sieht aus wie der Schauplatz eines Mordes – nur ohne Mord.«
    »Ja«, sagte Mickey. »Ein Glück, dass wir den Anruf bekommen haben. Gerade noch rechtzeitig.«
    Phils Blick fiel auf die Flecken auf der Werkbank. »Zumindest diesmal.«
    Sie wandten sich wieder dem Käfig zu. Irgendwann drehte Phil sich zu Mickey um.
    »Wo ist das Kind jetzt?«
    »Im Krankenhaus, mit Anni«, antwortete Mickey.
    Anni Hepburn war Phils Detective Constable.
    Mickey seufzte, dann runzelte er die Stirn. »Mein Gott. Sich vorzustellen, in was für einem Zustand das Kind jetzt sein muss …«
    Mickey Philips galt immer noch als der Neue in der Abteilung und in Phils Team. Aber er war schon lange genug dabei, um sich seinen Platz verdient zu haben. Je länger Phil mit ihm zusammenarbeitete, desto mehr stellte er fest, dass Mickey voller Widersprüche steckte. Äußerlich war er das genaue Gegenteil von Phil. Immer tadellos in Anzug und Krawatte, während Phil mit Sakko, Weste, Jeans und Hemd eher legerer Kleidung den Vorzug gab. Ein sauberer Bürstenhaarschnitt als Kontrast zu Phils strubbeliger Mähne. Blankgeputzte Schuhe, wo Phil Chucks oder – bei schlechtem Wetter – ab­gestoßene alte Red Wings trug. Ein Nachtclub-Türsteher mit Stiernacken hier, ein trendbewusster Unidozent dort.
    Doch es gab etwas, das Mickey aus der Masse der anderen Polizisten heraushob, und das war auch der Grund, weshalb Phil ihn in sein Team geholt hatte. Er gehörte zu der neuen Generation Ermittler, die studiert hatten, statt sich langsam innerhalb der Polizeihierarchie hochzuarbeiten, aber anders als die meisten seiner Art war er kein karriereversessener Taktierer. Er verstand es,

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