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Stirb, mein Prinz

Stirb, mein Prinz

Titel: Stirb, mein Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Carver
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plötzlich etwas in die Höhe fliegen und gleich darauf mit einem lederartigen Klatschen wieder herabfallen. Wie riesige Krähenflügel. Oder ein Monster aus einem Horrorfilm. Er fuhr zusammen und schnappte erschrocken nach Luft.
    Er drehte sich um. Sein erster Gedanke war: weglaufen. Aber dann blieb er stehen. Gab sich einen Ruck. So was Lächerliches. Es war früh am Morgen, und das da war bloß ein verfallenes altes Haus, nichts weiter. Erneut musterte er es. Inspizierte es, setzte sich ganz bewusst mit ihm auseinander, in der Hoffnung, dass es dadurch vielleicht seinen Schrecken verlieren würde.
    Streng genommen war es wohl eher eine Scheune oder ein Lagerhaus. Auf alle Fälle war es alt. Sehr alt. Die Fassade war mit schwarzen Holzlamellen verkleidet. Die meisten hingen schief oder waren aufgrund des Alters und mangelnder Instandhaltung abgefallen. Darunter kamen die hölzernen Stützleisten und nacktes Mauerwerk zum Vorschein. Was Cam für Krähenflügel gehalten hatte, war in Wirklichkeit eine große schwarze Plastikplane, die an der Seite des Gebäudes festgenagelt war. Eine halbherzige Reparaturmaßnahme. Ein Provisorium, das immer noch da hing, obwohl es inzwischen zerfetzt und daher vollkommen nutzlos war.
    Im Dach klafften riesige Löcher und legten das alte, vom Wasser geschädigte Gerippe aus Latten und Sparren frei. Hinter dem Haus befand sich ein eingeschossiger Anbau mit schwarz verfärbtem Putz und verfaulten hölzernen Fensterrahmen. Dahinter lag der Fluss Colne, auf dessen schmutzig braunem Wasser Plastikmüll und öliger Schaum träge dahinschwammen.
    Er war so nah an der Straße, mitten in der Stadt, und doch hätte er Gott weiß wo sein können. Mitten im Nirgendwo.
    Es ist nur ein Haus , sagte sich Cam. Nur ein Haus, nichts weiter.
    »Na, was ist, brauchst du ’ne Extraeinladung?« Eine Stimme ertönte hinter ihm, laut und ungehalten.
    Cam zuckte vor Schreck zusammen. Dann wandte er sich um.
    »Na los, ’n bisschen plötzlich. Wir arbeiten auf Zeit.« Der Mann warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Wird’s bald?«
    »Sorry …« Cam fand seine Stimme wieder. »Sorry, Gav …«
    Sein Boss war hinter ihm den Weg entlanggekommen. Cam war so sehr in den Anblick des Hauses vertieft gewesen, dass er ihn gar nicht gehört hatte. Von Gavs barschen Worten wachgerüttelt und froh, Verstärkung bekommen zu haben, begann Cam am Zaun zu zerren. Dünne Zweige schlugen ihm ins Gesicht und gegen Arme und Beine. Ihm war, als würden sich ledrige grüne Ranken um seine Gliedmaßen wickeln und ihn festhalten. Er spürte eine unerklärliche, aber heftige Panik in sich aufsteigen. Er warf sich ein letztes Mal gegen den Zaun, und endlich gelang es ihm, eine Lücke zu schaffen, die groß genug war, dass er sich durchzwängen konnte. Er schwitzte vor Anstrengung. Seine Fingerknöchel waren rot und aufgescheuert vom Metall und grün von den Blättern.
    »Na klar«, brummte Gav hinter ihm. »Hauptsache, das Klappergestell passt durch. Denkst nur an dich. Saftarsch.«
    Cam wollte antworten, seine plötzliche Panik erklären. Die grundlose Angst, die ihn beim Anblick des Hauses aus heiterem Himmel überkommen hatte. Wollte sich sogar entschuldigen. Er hatte bereits Luft geholt, um etwas zu sagen, ließ es dann aber sein. Gav machte bloß einen Scherz. Was er so unter Scherz verstand. Er selbst hielt sich für einen Spaßvogel erster Güte, doch die meisten anderen fanden ihn bloß laut und plump. Außerdem hätte er garantiert nicht verstanden, warum Cam sich so fürchtete. Cam verstand es ja selbst nicht.
    Ein ganz einfacher Job, hatte Gav gesagt. Zwei Leute sollten das Ding in Augenschein nehmen, überlegen, wie man beim Abriss am besten vorging, alles planen und durchführen. Das Grundstück musste komplett frei gemacht werden, damit irgendwer noch ein Neubauprojekt hochziehen, noch ein paar schachtelförmige Wohneinheiten draufquetschen konnte. Das Letzte, was Colchester brauchte, fand Cam, waren mehr Schachteln zum Wohnen. Aber er versuchte, seine persönliche Meinung außen vor zu lassen. Er brauchte den Job. Außerdem waren einige dieser Schachtelhäuser gar nicht so übel. Er hätte selbst auch gern in einem gewohnt.
    Hinter sich hörte Cam den Zaun rasseln, spürte, wie er bebte und zitterte. Hörte Flüche und Kraftausdrücke, als Gav seinen durch Steroide aufgepumpten Leib unter größtmöglichem Lärm durch die Öffnung zwängte.
    »Und? Was meinst du?«, fragte Gav, dem nach dem Kraftakt der Schweiß

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