Stolz der Kriegerin
den Dämmerlanden Regeln aufgezwungen, bei denen kaum einer weiß, wie sie lauten, und gegen die deswegen immer wieder verstoßen wird. Das ist auch vor zwölf Jahren geschehen, als du den Krieg mit den Ländern auf der anderen Seite des Stromes begonnen hast.«
»Ich wollte ihn mit Sicherheit nicht. Aber irgendetwas in meinem Kopf hat mich dazu gezwungen. Es ist erschreckend, daran denken zu müssen, dass dies wieder gesehen könnte!« Reodhil schüttelte sich bei dem Gedanken und wies nach Osten. Der Strom war an dieser Stelle bereits so breit, dass selbst Laisa das gegenüberliegende Ufer nur noch von einem erhöhten Punkt wie dem Palast als schmalen Streifen unter dem Himmel erkennen konnte. Nun war es ihr, als wirke die rote Seite einen Hauch dunkler als die goldene.
»Mir wäre es lieber, ich wäre damals nicht in den Krieg gezogen. Ich habe viele Freunde in den Schlachten fallen sehen und meinen einzigen Sohn verloren. Wenn ich sterbe, wird ein Mann König von Thilion werden, mit dem mich nur die Tatsache verbindet, dass einer seiner Ahnen einmal die Schwester eines meiner Ahnen zur Frau genommen hat.«
Laisa sah den König nachdenklich an. »Du bist noch nicht zu alt, um nicht noch einmal heiraten zu können. Warum also willst du Thilion einem Fremden überlassen?«
»Bei Tenelin, der Gedanke wäre einer Überlegung wert!« Reodhil lachte leise auf und sagte sich, dass Laisas Rat tatsächlich gut war. Er brauchte einen Sohn.
Während der König über eine mögliche Neuvermählung nachdachte, prüfte Laisa noch einmal seinen Geist und spürte zu ihrer Erleichterung, dass der fremde Anteil aus seinem Kopf verschwunden war.
»Habt Ihr Hinweise auf weitere Machenschaften von Fürst Neldion erhalten?«, fragte sie, nachdem der König ihr einen Becher Milch und sich einen mit Wein hatte bringen lassen.
Reodhil schüttelte den Kopf. »Meine Leute haben zwar weitere Mitglieder dieser geheimen Gruppe um Tharalin ausgeräuchert, doch sie sind alle durch ihr Gift gestorben, bevor sie verhört werden konnten. Die meisten stammten aus Tenelian und vier von ihnen aus Neldions Fürstentum Tharalin, für das ich die Verwaltung übernommen hatte, nachdem er zum Krüppel geschlagen worden war.«
»Also sollte der Evari sich dieses Fürstentum genauer ansehen!« Zwar wusste Laisa nicht, ob Khaton die Zeit fand, die endlose Reihe der Probleme, die sich hier auftürmte, zu beseitigen, doch sie hielt es für besser, ihm alles mitzuteilen, was sie in Erfahrung gebracht hatte.
Da dies ein längerer Brief werden würde, verabschiedete sie sich von Reodhil und kehrte in ihre eigenen Räume zurück. Sie fand dort nur Rongi vor, der auf einem Kanapee lag und schlief. Den maunzenden Lauten nach, die er dabei von sich gab, schien er von Leckerbissen zu träumen, die es auf der anderen Stromseite gab.
Um ihn nicht zu wecken, zog Laisa sich in den Nebenraum zurück und begann mit ihrem Bericht an Khaton. Den genauen Umfang der Intrigen, die hier im Süden zu beiden Seiten des Großen Stromes gesponnen wurden, konnte sie ihm nur in Ansätzen mitteilen. Sie war jedoch sicher, dass es bald wieder zum Krieg kommen würde, wenn nicht vorher etwas geschah, das bewaffnete Auseinandersetzungen verhinderte.
☀ ☀ ☀
Am Mittag des fünften Tages erreichten drei Goisen-Schiffe mit KanDilms Wimpel den Hafen. Sie waren schnittiger gebaut als die üblichen Goisen-Frachter, und konnten ebenso gesegelt wie gerudert werden. Dies war, wie KanDilm erklärte, lebensnotwendig, denn seine Heimatprovinz lag am anderen Ufer, und sie mussten daher Seewege durchqueren, auf denen Lanarer und Dscherer nordwärts fuhren.
»Die Lanarer haben schon mehrfach versucht, uns zu vertreiben, doch wir sind Kinder der Sümpfe und kennen uns dort bestens aus. Selbst den Reichen im Hinterland ist es nicht gelungen, in unserem Gebiet Fuß zu fassen«, setzte der Goise stolz hinzu.
Langsam begriff Laisa, dass die Goisen nicht nur ruppige Schiffer und mit allen Wassern gewaschene Händler waren, sondern auch harte Krieger, die ihre Heimat zu bewahren wussten. Nun ärgerte sie sich, weil sie bisher so wenig von der Geschichte der Dämmerlande erfahren hatte, und nahm sich vor, in nächster Zeit mehr darüber zu lernen. Auch wollte sie andere Gegenden aufsuchen als jene, die sie bereits gesehen hatte. Der Norden reizte sie, vor allem aber Edessin Dareh, die Heilige Stadt, in der die drei Götter des Westens sich mit den beiden Göttinnen und dem Gott aus dem Osten
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