Storm
Kopf ruht auf der Matratze des erhöhten Krankenbettes, und ich genieße das Spiel der Finger in meinem Haar. Sie streicheln über meine Wange und über meinen Hals.
»Wie spät ist es, Sam?«, murmele ich und öffne die Lider.
Es war nicht ihre Hand, sondern die von Storm. Schnell zieht er sie zurück und schließt die Augen.
Ich hebe so ruckartig den Kopf, dass mir schwindelig wird und ein höllischer Stich in mein Rückgrat fährt. Ich bin völlig verspannt. Jetzt könnte ich eine Massage vertragen, was mich wieder an Storm und unsere erste gemeinsame Zeit erinnert.
Schlaftrunken sehe ich mich u m. Strahlen der tiefstehenden Morgensonne tauchen das kleine Zimmer in orangefarbenes Licht, aber Samantha ist nicht hier. Ich sitze allein an Storms Bett.
Ja, es war seine Hand. Ich habe nicht geträumt.
Breit grinse ich ihn an. »Wie geht es dir?« Vor Aufregung durchströmt Hitze meine müden Muskeln. Schnell überprüfe ich seine Vitalfunktionen, höre die Lunge sowie sein Herz ab. Dabei blinzelt er mich an. Das Licht blendet seine empfindlichen Augen.
Ich eile zum Fenster, um den Vorhang halb zuzuziehen, damit Storms Kopf im Schatten liegt, und stelle mich neben ihn.
Er starrt mich nur an, sagt kein Wort. Er kann sicher noch nicht begreifen, was passiert ist. Ich erzähle ihm, dass er mit Ice nach Resur kam, um mich zu sehen, er angeschossen wurde, eine Lungenembolie hatte, aber jetzt auf dem Weg zur Besserung ist.
Ich rede und rede und drücke ihm schließlich einen Kuss auf den Mund.
Er reißt die Augen auf und keucht.
Sofort weiche ich zurück. »Tut mir leid, ich freu mich nur so, dass es dir besser geht.«
»Das Regime … Das Video …«, sagt er. Seine Stimme klingt wie ein Reibeisen.
Ich halte ihm eine Tasse Wasser an die Lippen, und er nimmt sie mir ab. Er möchte allein trinken, das ist gut. Seine Hände zittern, er ist sehr schwach, aber er lebt. Lebt! Ich könnte die ganze Welt umarmen.
»Das Regime steht kurz vor dem Sturz«, erkläre ich ihm.
Dass ich die Medikamente geholt habe und Ice deshalb gefangen wurde, erzähle ich ihm nicht. Aufregung würde Storm nicht guttun und ich möchte auch nicht nachdenken, wie es Ice jetzt geht. Es sind nur noch wenige Stunden bis zu seiner Hinrichtung.
Außerdem sollte ich auch nicht gleich erwähnen, dass Sam und ich einmal ein Liebespaar waren. Ich werde es ihm sagen, wenn er sich erholt hat. Dann will ich ihm alles erzählen. Ich will keine Geheimnisse mehr vor ihm haben.
Ich sehe, wie sehr ihn das Trinken anstrengt, und nehme ihm die Tasse ab. »Ruh dich aus. Wir werden alles nachholen, sobald es dir besser geht.«
Nickend schließt er die Augen.
Meine Erleichterung ist immer noch grenzenlos und ich kann den Tag seiner Entlassung kaum erwarten.
***
Da es Storm besser geht, helfe ich den Rebellen, wo ich kann. Ich bin frohen Mutes, denn Ice lebt, er konnte seiner Hinrichtung mit einem Trick entkommen, und er ist mit Veronica auf dem Weg nach New World City. Dort wollen sie Veronicas Mutter und ihre Schwester befreien.
Währenddessen zeichnet sich ein Umsturz ab. Alles sieht danach aus, dass die Senatoren ihre Farce nicht mehr aufrechterhalten können. Die Bürger gehen auf die Barrikaden.
Ein paar Stunden später erreicht uns die erlösende Nachricht: Das Regime ist gestürzt, die Senatoren verhaftet. White City ist frei!
In Resur wird gefeiert, und ich platze in Storms Zimmer, um ihm die freudige Nachricht zu überbringen. Während niemand seine Euphorie verbergen kann, wirkt er unbeteiligt. Nach wie vor hat er nicht viel gesprochen, er schaut mir nicht in die Augen und möchte seine Ruhe haben. In mir keimt ein Verdacht auf: Leidet er an einer Depression? Er wirkt unglücklich und ist ständig müde.
Narkosemittel greifen in den Gehirnstoffwechsel ein und können tatsächlich eine Depression auslösen oder eine schlummernde aktivieren. Ich habe von solchen Fällen gehört. Daher hoffe ich, dass sich Storms Zustand bald gibt und er wieder der alte wird.
Davon abgesehen ist die Welt, wie er sie kannte, zusammengestürzt. Alles, was er für richtig, gut, wertvoll und schützenswert hielt, hat sich als falsch erwiesen. Außerdem hat er einen Mann geliebt, der an vorderster Front gekämpft hat, um genau diese Welt zu zerstören. Und jetzt lebt er bei denen, die er für Feinde hielt. Das ist für jeden Menschen ein Riesending, für einen schwerverletzten 19-jährigen, der noch keine Gelegenheit hatte, die Welt differenzierter zu betrachten,
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