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Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald

Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald

Titel: Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Schreiner
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war sie unheimlich, auch weil es hieß, sie sei nicht ganz richtig im Kopf. Klatsch und Tratsch eben. Genaues wusste keiner. Nur dass sie weder Freunde noch Verwandte hatte, darüber war man sich einig.
    In der Kirche waren die ersten Besucher zu hören. Baltasar zog sein Hemd aus, sein Oberarm war geschwollen, an der Schulter hatte sich ein Bluterguss gebildet. Er streifte sich die Albe und Kasel, das Messgewand, über. Seine Laune war nach dem Vorfall gesunken. Auf was für Ideen die alte Frau kam! Zugegebenermaßen hatte ihn die Nachricht über den jüngsten Kirchendiebstahl auch ein wenig beunruhigt. Bisher hatte er die Kirchentüre immer offen gelassen und nie die Befürchtung gehabt, jemand könne sich an den paar Wertgegenständen seiner kleinen Pfarrei vergreifen. Was wollte jemand mit Gesangbüchern, vergoldeten Kerzenleuchtern oder Heiligenfiguren aus Holz?
    Aus einer Kommode holte Baltasar die Zutaten für das Turibulum: sudanesischer Weihrauch, etwas Sandelholz und eine Kräutermischung, die er frisch aus dem Jemen bezogen hatte. Er zerstieß sie in einem Mörser und füllte sie in das Weihrauchfass. Er roch daran. Perfektes Aroma. Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass es Zeit war für den Gottesdienst. Aber noch immer war der Ministrant nicht eingetroffen. Baltasar legte die Altarschellen bereit, sah wieder auf die Uhr. Er zündete die Kohletablette an und legte sie ins Turibulum. Der Duft seiner Spezialmixtur erfüllte den Raum. Wo blieb der Junge nur?
    Gerade wollte sich Baltasar allein auf den Weg machen, als er den Buben hereinhuschen sah.
    »Tschuldigung, Herr Pfarrer, ich bin spät dran.« Die Haare des Ministranten standen in alle Richtungen ab, das Hemd war falsch zugeknöpft, ein Schnürsenkel streifte am Boden. »Ich hab noch was erledigen müssen, was Dringendes.«
    »Ich glaube eher, du bist nicht rechtzeitig aus dem Bett gekommen. Zieh dich um, Sebastian, aber schnell! Was war denn so dringend?«
    »Ich wollt Sie was fragen, wenn ich darf, Herr Pfarrer.« Der Junge legte seinen Rucksack auf den Tisch.
    »Nur zu.«
    »Nun, nur mal angenommen, also rein theoretisch: Ist es erlaubt, etwas zu behalten, was einem nicht gehört?«
    »Wenn es einem nicht gehört, muss man es selbstverständlich dem Eigentümer zurückgeben.«
    »Aber wenn es keinen Eigentümer gibt, wenn man etwas findet, oder so.«
    »Dann sollte man es im Fundbüro abgeben. Der, der es verloren hat, vermisst es sicher.«
    Der Junge schlüpfte in sein Messgewand. Er schien zu überlegen, ob er fortfahren sollte. »Aber wenn man etwas findet, wo man sicher ist, dass es niemandem gehört? Was ist dann?«
    Baltasar runzelte die Stirn. »Hast du etwas gefunden, Sebastian? Etwas Wertvolles?«
    »Sie verraten aber nichts meinen Eltern, versprochen? Die werden immer so schnell grantig.«
    »Ich müsste erst wissen, um was es überhaupt geht.«
    »Ich hab’s dabei.« Der Bub öffnete seinen Rucksack und holte einen verdreckten Lappen heraus. Behutsam deponierte er ihn auf dem Tisch, als hantiere er mit Nitroglyzerin. »Aber niemandem etwas davon erzählen, ich bitt Sie.« Er entfaltete den Stoff, eine Kette kam zum Vorschein. Baltasar nahm sie in die Hand. Es war eine silberne Kette mit Gliedern aus Halbedelsteinen. Erde klebte an mehreren Stellen, als Anhänger dienten Reste eines Kreuzes aus Horn. »Das ist ein Rosenkranz. Wo hast du ihn gefunden?«
    »Gleich bei uns am Weg. In der Erde. Gehört der nun mir? Ist er was wert?«
    »Das weiß ich nicht. Sieht auf jeden Fall sehr alt aus. Wo genau hast du ihn gefunden, sagst du?«
    »Im Acker. War Zufall. Darf ich den Rosenkranz nun behalten oder nicht? Den vermisst niemand mehr.«
    »Wieso bist du dir so sicher? Zumindest sieht er so aus, als sei er schon länger in der Erde gelegen, das stimmt.«
    »Genau, der ist uralt, der geht keinem mehr ab. Dann ist er doch meiner, schon allein wegen der Verjährung und so.«
    »Das klären wir später. Jetzt geht’s zur Messe, mach schon, nimm den Weihrauchbehälter.«
    »Der Rosenkranz ist nicht das Einzige, was ich gefunden hab.« Der Junge zog ein Zeitungspapier hervor, in dem etwas eingewickelt war. »Sieht komisch aus. Wollen’s sich anschauen?«
    Baltasar wickelte den Gegenstand aus. Vor Schreck ließ er ihn auf den Tisch fallen und betrachtete ihn dann näher. Ein Knochenstück. Die Form, die Zähne – kein Zweifel.
    Es war der Unterkiefer eines Menschen.
    2
    E r hatte nun schon das zweite Mal seinen Einsatz verpasst. Es war die Stelle, wo

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