Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
Religionsschwärmerei. Die Menschen zeichnen sich durch Hartnäckigkeit, Bigotterie, Aberglaube und den Glauben an Hexereien aus«, notierte damals der Mann aus München und brachte zugleich seine Verwunderung über manch andere Sitten zu Papier: »Treue in der Liebe und Vaterpflicht scheint dem unverheirateten Volk ganz gleichgültig, denn häufig leugnen sie Vaterschaft und entziehen sich der Alimentationsbürde, sie überlassen sich dem Genuss der Liebe ohne Rückhalt und – leider oft gar zu früh. Streit endet in Beleidigungen und ist oft mit mörderischen Raufereien verbunden.«
Wie zivilisiert die Menschen doch heute sind, dachte Baltasar. Sie schlagen nur noch zu besonderen Anlässen zu, beispielsweise mit dem Bierkrug auf Volksfesten, wobei es sich von selbst verstand, dass man den Krug vorher ausgetrunken hatte – es wäre zu schade um das kostbare Bier.
Die Leute standen an, um Hostie und Wein zu empfangen. Die Frau des Metzgers hatte offenbar ihre Haare neu gefärbt, ein Bronzeton, der unnatürlich schimmerte. Ständig zupfte sie an ihren Strähnen, als sei sie mit der Frisur nicht zufrieden. Ein Mann aus dem Altenheim schob seine Lippen vor wie ein Karpfen bei der Fütterung, als Baltasar ihm die Oblate in den Mund schob, und kaute auf ihr herum, als wäre sie das erste Frühstück. Baltasar musterte die Bänke. Wo steckte eigentlich Walburga Bichlmeier? Einige Besucher waren sitzen geblieben, aber die schlagkräftige Rentnerin war nirgends zu sehen, auch nicht in den Seitengängen.
Der Rest der Messe verlief ohne Zwischenfälle, wenn auch zäh. Baltasar beschlich das Gefühl, in Honig zu waten. Die Minuten schienen sich zu dehnen, und beim Singen der Lieder ertappte er sich dabei, schon an das Ende zu denken. Selten hatte er sich den Abschluss so sehr herbeigewünscht, den Segen und das Kreuzzeichen vollzog er in Rekordzeit. Die Besucher strömten aus der Kirche, und Baltasar atmete auf. Er war schon auf dem Weg in die Sakristei, als ihn eine Stimme aufhielt.
»Hochwürden, haben Sie einen Moment Zeit?« Xaver Wohlrab stand im Seitengang.
»Herr Bürgermeister, schön Sie zu sehen. Was gibt’s denn? Wollen Sie etwa beichten?«
»Danke, nein, so dringend ist es im Augenblick nicht.«
»Und ich dachte, Politiker sind niemals ohne Sünden.« Baltasar lächelte Wohlrab an, der sich daraufhin verlegen räusperte.
»Ich wollte ein Projekt mit Ihnen besprechen. Etwas Geschäftliches, zum Wohle der Gemeinde. Das wird auch in Ihrem Interesse sein.«
»Meine Arbeit zielt vor allem auf das Seelenheil meiner Schäfchen.«
»Ich habe Sie in der Vergangenheit als einen Menschen kennen gelernt, der sich durchaus auch für weltliche Dinge interessiert. Wenn es den Menschen hier besser geht, kommt das auch Ihrer Kirchengemeinde zugute. Wir sitzen im gleichen Boot.«
»Also gut, raus mit der Sprache.«
»Sie erinnern sich doch noch an meinen Versuch, eine Futtermittelfabrik bei uns anzusiedeln?«
»Sie meinen die Firma, die in Norddeutschland mehrere Gerichtsverfahren wegen Verstoßes gegen die Umweltauflagen am Hals hat? Wie könnte ich das vergessen!«
»Das sind nur bösartige Verleumdungen, von neidischen Konkurrenten gestreut. Es ist alles eine Frage des Investitionsklimas. Und wir im Bayerischen Wald sind in dieser Hinsicht großzügiger als nördliche Bundesländer. Sie wissen selbst, wie dringend wir hier Arbeitsplätze brauchen.«
»Da gebe ich Ihnen recht. Arbeitsplätze schon – aber zu welchem Preis?«
Wohlrab hob die Arme. »Wir müssen das jetzt nicht zu Ende diskutieren. Das Thema hat sich sowieso erledigt, das Unternehmen hat sein Angebot zurückgezogen.«
»Schade drum – wo die Firma doch ein Grundstück erwerben wollte, das Ihnen persönlich gehört.«
»Na, na, daran ist nichts Verwerfliches. Aber das hat sich wie gesagt erledigt. Doch ich habe jetzt eine neue Chance aufgetan. Ein Investor will bei uns ein Sporthotel bauen, mit Spitzenrestaurant, Golfplatz, Wellness und so weiter. Eine einmalige Gelegenheit für den Ort.«
»Und welche Rolle haben Sie mir dabei zugedacht? Soll ich künftig Golfkurse geben?«
»Humor haben Sie, das muss man Ihnen lassen.« Der Bürgermeister sah verdrießlich drein. »Ich bitte Sie um Unterstützung für das Projekt. Sie haben Einfluss auf Ihre Gemeinde, wenn Sie ab und zu ein gutes Wort einlegen …«
»Ich kenne den Investor und das Bauvorhaben noch gar nicht. Aber gut, wenn’s der Allgemeinheit hilft, will ich gern meinen Beitrag dazu
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