Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
gerade der Heilige Geist erschienen. Er setzte an zu reden, brachte aber kein Wort heraus.
»Wir als Team müssen zusammenarbeiten. Ich bin nicht dein Feind, Jonas.« Baltasar sah ihm direkt in die Augen. »Also, wo steckt der Sebastian?« Er wusste die Antwort längst.
»Ich kann nicht«, brach es aus Jonas heraus.
»Willst du mir nicht helfen?«
»Ich kann keinen Freund verraten, das kann ich nicht.« Er kaute auf den Worten wie auf einem Kanten Schwarzbrot.
»Das verstehe ich, einen Freund verrät man nicht.« Baltasar stand auf, ging zur Toilettentür und klopfte.
»Sebastian, bitte komm raus.«
Es dauerte eine Weile, bis sich die Tür öffnete. Vor ihm stand ein zitterndes Bündel Mensch. Sebastian.
4
S ebastian saß am Tisch der Sakristei und nestelte am Reißverschluss seiner Jacke.
»Ich bin froh, dass es dir gut geht«, sagte Baltasar. »Du kannst dir nicht vorstellen, wo ich überall nach dir gesucht habe.«
»Was haben’s denn bloß, Herr Pfarrer? Ich hab mich nur mit meinem Freund zum Spielen getroffen. Das ist doch nicht verboten, oder?« Trotz lag in der Stimme.
»Niemand will dir was verbieten, ich schon gleich gar nicht. Ich hab mir nur Sorgen gemacht, sonst nichts. Mein Fehler.«
»Gut, kann ich jetzt gehen? Meine Eltern erwarten mich sicher schon.«
»Den Eindruck hatte ich nicht, als ich mit deinem Vater telefoniert habe.«
Sebastian blickte ihn erstmals an, seitdem sie zurückgekommen waren. »Sie haben mit meinem Vater gesprochen?«
»Ich musste mich doch vergewissern, ob du zu Hause warst. Keine Sorge, ich hab nichts verraten.«
»Kann ich jetzt gehen?«
»Wir müssen nochmals über deinen Fund reden.«
»Aber Sie haben doch gesagt, ich darf’s behalten. Schließlich hab ich’s gefunden, ich allein. Sie wollen’s mir wieder abnehmen, ich hab’s gleich gewusst.«
»Sméagol hat seinen Schatz verloren, Sméagol will seinen Schatz zurück«, imitierte Baltasar die Stimme von Gollum aus dem Film Der Herr der Ringe . »Sei nicht albern, niemand will dir was wegnehmen.«
»Doch, wollen Sie!«
»Finderlohn gibt’s auf jeden Fall. Aber ist dir bewusst, was das für ein Knochen ist?«
»Na, der Kiefer von einem Tier, einem Reh oder einem Fuchs oder so was.«
»Da täuschst du dich gewaltig. Das ist der Unterkiefer eines Menschen.« Baltasar holte den Knochen aus dem Rucksack, verfolgt von den Blicken des Jungen. »Guck genau hin, lass dich nicht von den Erdklumpen irritieren.«
Sebastian starrte auf das Kieferfragment. »Ich seh nix.«
Baltasar deutete auf einen Zahn. »Hast du schon mal ein Reh gesehen, das eine Plombe trägt?«
Der Junge hielt das Fundstück hoch. »Leck mich, Sie haben recht, eine vergammelte Zahnplombe, verreck!«
Eine Zeitlang sagten beide nichts, sondern betrachteten nur das Knochenstück, als sei es die Reliquie eines Heiligen.
»Und was machen wir jetzt, Herr Pfarrer?«
»Ich möchte dich darum bitten, dass du mir die Sachen leihst, auch den Rosenkranz, damit ich sie untersuchen lassen kann. Dir ist sicher klar, dass du den Teil eines Menschen nicht behalten kannst.«
»Aber das Sweatshirt meines Bruders habe ich auch behalten«, protestierte Sebastian, »also wollen Sie mir doch was wegnehmen.«
»Ein Menschenknochen ist etwas anderes. Davor muss man Respekt haben. Der gehört wieder beerdigt.«
»Aber die Ärzte haben doch auch Skelette bei sich rumstehen, das hab ich im Fernsehen gesehen. Warum ich nicht?«
»Weil die Verstorbenen vor ihrem Tod in ihr Testament geschrieben haben, was mit ihrem Körper und ihren Knochen geschehen soll.«
»Und wozu brauchen Sie den Rosenkranz? Der besteht doch nicht aus Knochen.«
»Er kann vielleicht helfen festzustellen, zu wem das Kieferstück gehört. Wo hast du denn alles gefunden?«
»Bei uns draußen im Feld.«
»Es wäre schön, wenn du etwas präziser sein könntest. Wo genau war der Fundort?«
»Ich hab’s doch schon gesagt, im Feld.«
Baltasar seufzte. »Okay, okay, ich seh schon, so kommen wir nicht weiter. Ich schlage vor, nach dem nächsten Gottesdienst zeigst du mir die Stelle.« Er blickte auf die Uhr und reichte dem Jungen den Ministrantenumhang. »Wir müssen uns vorbereiten, es geht bald los. Und nicht wieder davonlaufen.«
Baltasar konnte es gar nicht erwarten, bis die Messe zu Ende ging. Aber je mehr er sich den erlösenden Schlusssegen herbeisehnte, desto länger schien sich die Andacht zu ziehen. In solchen Momenten verwünschte er den starren Ablauf der Liturgie. Wie gern
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