Stout, Maria
besteht, werden
intelligente Soziopathen häufig zu guten Schauspielern und können sogar
spezielle, von Berufsschauspielern eingesetzte Techniken erlernen.
Paradoxerweise können willkürlich abrufbare Gefühlsbekundungen dem
Kaltblütigen zur zweiten Natur werden - der Anschein intensiver Anteilnahme an
den Problemen oder Vorlieben eines anderen Menschen, bierseliger Nationalstolz,
aufrechte Entrüstung, errötende Sittsamkeit, weinerliche Traurigkeit.
Krokodilstränen auf Abruf sind ein soziopathisches Markenzeichen. Doreen
stellte sicher, dass Ivy die über ihren Patienten Dennis vergossenen
Krokodilstränen bemerken und sich davon einwickeln lassen würde. Und zweifellos
hat sie abermals vor Ivy einen ganzen Schwall Krokodilstränen vergossen, als
sie unweigerlich die schreckliche, schmerzhafte Krankheit erfand, die sie "zwang",
ihr kleines Hündchen einschläfern zu lassen.
Krokodilstränen
vergießen die Gewissenlosen besonders gern, wenn ein gewissenhafter Mensch sich
dazu anschickt, einen Soziopathen mit der Wahrheit zu konfrontieren. Ein Soziopath,
der befürchten muss, in die Enge getrieben zu werden, wird sich plötzlich zu
einer Mitleid erregenden, weinerlichen Figur verwandeln, die niemand guten
Gewissens weiterhin unter Druck setzen könnte. Oder das genaue Gegenteil:
Manchmal wird ein in die Enge getriebener Soziopath eine Pose rechtschaffener
Entrüstung und gerechten Zorns einnehmen in dem Versuch, den Angreifer
einzuschüchtern. So hat es Doreen mit den Direktoren der Klinik versucht, als
sie schließlich gefeuert wurde.
Da sie von
Natur aus Schauspieler sind, können gewissenlose Menschen gesellschaftliche und
berufliche Rollen optimal ausnutzen, die hervorragende Tarnungen abgeben und
nur ungern von anderen Menschen angezweifelt werden. Rollen helfen uns bei der
Organisation unserer komplexen Gesellschaft und sind enorm wichtig für uns.
Sollte uns ein verdächtiges Verhalten auffallen, würden wir vielleicht eine
Doreen Littlefield schließlich zur Rede stellen, aber es ist unwahrscheinlich,
dass wir einer Frau Dr. Doreen
Littlefield misstrauen würden, sei ihr Verhalten auch noch so sonderbar. Wir
reagieren auf den Titel Doktor, der eine
eindeutige und positive Bedeutung für uns hat, und den Inhaber eines solchen
Titels stellen wir kaum jemals in Frage. In gewissem Maße gilt das auch für
Menschen, die Rollen aus anderen gesellschaftlichen Bereichen bekleiden und
(legal oder illegal) entsprechende Titel führen, zum Beispiel in Politik,
Geschäftsleben, organisierter Religionsausübung, Bildungswesen oder als Eltern.
Selten werden die Nachbarn das Verhalten eines Diakons, Stadtrates,
Gymnasialdirektors oder eines erfolgreichen Managers wie Skip unter die Lupe
nehmen. Wir glauben den Versprechungen eines solchen Menschen, weil wir die
Integrität seiner gesellschaftlichen Rolle mit ihm identifizieren. So werden
wir auch schwerlich die Erziehungspraktiken eines Nachbarn in Frage stellen,
selbst wenn zu befürchten steht, dass ein Kind missbraucht wird. Oft hat unsere
Logik kaum mehr Substanz als die schlichte Aussage "Er ist schließlich der
Vater."
Darüber
hinaus werden wir vom tatsächlichen Verhalten eines Menschen abgelenkt, wenn er
sich auf die eine oder andere Art als gütig, kreativ oder verständnisvoll
darstellt. So vertrauen wir zum Beispiel Menschen, die sich als tierlieb
ausgeben. Bei Menschen, die sich selbst als Künstler oder Intellektuelle
bezeichnen, drücken wir auch mal ein Auge zu, da wir eventuelle Abweichungen
von der Norm ihrer Exzentrizität zuschreiben, die wir als Normalbürger
unmöglich verstehen können. Im Allgemeinen bringen wir solchen Kreisen ein
gewisses Wohlwollen entgegen, was manchmal einem soziopathischen Imitator Tür
und Tor öffnet.
Schlimmer
noch, unser Respekt für vermeintlich inspirierte und wohlwollende
Führungspersonen kann missbraucht werden - und ist vielfach missbraucht worden
-, mit katastrophalen Folgen. Wir neigen dazu, bei Führungspersonen - gerade
dann, wenn sie vorgeblich einer erhabenen Mission dienen - und auch bei Ärzten
oder Priestern oder Eltern, die Attribute der jeweiligen Rolle auf das
Individuum zu übertragen und daher dem Individuum zu folgen. Benjamin Wolman, 29 Gründer und Herausgeber des International Journal of Group
Tensions ("Internationales Journal der Spannungen in Gruppen"),
hat geschrieben: "Gewöhnlich wächst die menschliche Grausamkeit, wenn ein
aggressiver Soziopath eine unheimliche, fast hypnotische
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