Stout, Maria
immer wieder bemerkenswert
erfolgreich gewesen. Ein Mensch, der nicht von einem Gewissen behelligt wird,
kann uns leicht das Gefühl vermitteln, unser Leben sei zu geregelt und öde, und
dass wir mit ihm gemeinsam ein Leben führen sollten, das gerne als bedeutsamer
und spannender dargestellt wird. Angefangen bei Eva und der Schlange strotzen
die Geschichtsbücher und Klassiker der Prosa vor Geschichten von Menschen, die
durch das aalglatte Gerede und den Magnetismus von Hasardeuren und Übeltätern
verführt und manchmal vernichtet worden sind - Dickie Greenleaf und der
talentierte Mr. Ripley, Samson und Delilah, River City und Harold Hill, Trilby
und Svengali, Norman Mailer und Jack Henry Abbott, Zarin Alexandra und der
scheinbar unsterbliche Rasputin. Und aus eigener Erfahrung erinnern wir uns an
Begegnungen mit solchen Zeitgenossen, die uns eisige Schauer über den Rücken jagen.
Freilich können wir uns glücklich schätzen, wenn es nur Begegnungen waren.
Weniger Glückliche müssen mit unauslöschlichen Erinnerungen an ausgemachte
menschliche Katastrophen leben, die ihnen widerfahren sind, als sie dem Charme
der Schamlosen zum Opfer fielen.
Überdies
kennen die Schamlosen uns viel besser, als wir sie kennen. Es fällt uns
ausgesprochen schwer zu erkennen, dass eine Person kein Gewissen hat, aber ein
Mensch ohne Gewissen erkennt sofort jemanden, der anständig und vertrauensvoll
ist. Schon als Kind wusste Skip, wen er dazu überreden konnte, Feuerwerkskörper
für ihn zu besorgen. Als Erwachsener wusste er sofort, dass Juliette
jahrzehntelang mit ihm leben konnte, ohne seine zwielichtigen Aktivitäten in
Frage zu stellen. Doreen Littlefield erkannte, dass sie mit Ivy leichtes Spiel
haben würde, und wusste genau, dass Jackie Rubenstein ein mitfühlender Mensch
war, der bereitwillig über seine Pflicht hinaus Verantwortung übernehmen würde.
Wenn ein
Soziopath jemanden als leichtes Opfer ausmacht, studiert er diese Person. Er
versucht herauszufinden, wie diese Person manipuliert und ausgenutzt werden
kann und wie er dazu sein auserkorenes Spielobjekt umschmeicheln und betören
kann. Außerdem weiß er, wie er ein Gefühl der Vertrautheit oder Intimität
herstellen kann, indem er behauptet, er und sein Opfer seien sich irgendwie
ähnlich. Häufig erinnern sich Opfer an Behauptungen, die auch dann noch ihren
Eindruck hinterließen, nachdem der Soziopath verschwunden war, zum Beispiel: "Weißt
du, ich glaube, du und ich sind uns sehr ähnlich", oder: "Ich bin
ganz sicher, dass wir Seelenverwandte sind." Rückblickend betrachtet
können solche Bemerkungen außerordentlich erniedrigend wirken. Sie sind
unglaublich verlogen und spuken einem doch im Kopf herum.
In
ähnlicher Weise haben gewissenlose Menschen ein unheimliches Gespür dafür, wer
für sexuelle Avancen empfänglich sein könnte. Verführung ist eine weitere, sehr
verbreitete soziopathische Technik. Für die meisten Menschen bringt ein
sexuelles Verhältnis eine emotionale Bindung mit sich, wenn sie auch flüchtig
sein mag, und solche Bindungen werden von kaltherzigen Schurken ausgenutzt, um
zu bekommen, was sie begehren - Loyalität, finanzielle Unterstützung,
Informationen, ein Gefühl des "Gewinnens", oder vielleicht einfach
eine vorübergehende Beziehung, die den Anschein der Normalität erweckt. Dies
ist eine altbekannte Geschichte und abermals eine, die sich immer wieder in
Literatur und Historie wiederholt. Aber selten erkennen wir die Macht, die sie
Soziopathen verleiht - Macht über einzelne Menschen, natürlich, aber auch über
Gruppen und Institutionen. Ein innerhalb einer Organisation getarnter Soziopath
kann auf unbestimmte Zeit durch normale Menschen gedeckt werden, die den
einzigen Fehler gemacht haben, einer Schwäche für diese charmante und
gefährliche Person nachzugeben. So konnte sich zum Beispiel Doreen vor allem
deshalb als Psychologin ausgeben, weil sie Empfehlungsschreiben von zwei
Personen präsentieren konnte, die sie sexuell manipuliert hatte. Und als Jackie
versucht hat, Doreens soziopathisches Verhalten aufzudecken, hat eine dritte
Person, der Stationsdirektor, das wahrscheinlich aus den gleichen Gründen
verhindert. Und so blieb die verführerische "Dr." Littlefield weitere
sechs Jahre an der Klinik.
Und
sexuelle Verführung ist nur ein Aspekt des Spiels. Wir werden gleichermaßen
durch die schauspielerischen Fähigkeiten des Soziopathen verführt. Da das
Gerüst eines Lebens ohne Gewissen aus Täuschung und Illusion
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