Sträflingskarneval
sie an Gewicht verloren. Rossalyns einfaches, dunkles Stoffkleid schlackerte um ihren dünnen Körper, ihre einst glänzenden blonden Haare waren stumpf und zu einem Zopf gebunden, ihr Gesicht war blass und die blauen Augen wirkten, als hätte sie jeden Lebensmut verloren.
Zwei Monate waren seit dem blutigen Angriff auf den Orden vergangen. An diesem Tag hatten die selbst ernannten Feinde der Datla Temelos - die Versammlung der Dunkelheit – Omey Island fast dem Erdboden gleichgemacht und dabei viele Unschuldige ermordet. Ohne Rücksicht auf Verluste waren sie über Omey Island hergefallen und hatten Ryans Großvater vor eine unmögliche Wahl gestellt. Ihr Anführer Ramon MacDermot forderte, entweder gebe Donnan sein Amt und den Orden gänzlich auf, um sich seiner Gemeinschaft anzuschließen oder er würde auf der Stelle sein Leben verlieren. Das Unvermeidliche geschah: Colin Donnan gab sein Leben bei dem Versuch, seine Brüder und Schwestern zu schützen. In diesem fürchterlichen Blutbad starben aber nicht nur Ordensmitglieder, sondern auch der Anführer der Datla Temelos . Er und seine Männer hinterließen eine Welle der Trauer und ein stark in Mitleidenschaft gezogenes Ordenshaus.
Bisher wusste niemand, wieso es überhaupt so weit gekommen war, es gab lediglich Mutmaßungen, wobei eine haarsträubender war als die andere. Aber das Ungeheuerlichste war die Beteiligung des bis dahin angesehenen Mitgliedes Lawren McGrath und dessen Sohn Aidan. Sie tauchten an jenem Tag und ohne Vorwarnung neben dem Anführer der Datla Temelos auf. Dieses Mysterium konnte sich keiner erklären, zumal beide beharrlich über ihre Absichten schwiegen. Vater und Sohn wurden zusammen mit den verbliebenen Rebellen zuerst in die Höhlen unter dem Landsitz auf Omey Island eingesperrt, später auf die private und sehr geheime Gefängnisinsel Llŷr gebracht. Kurze Zeit später hatte der Druidenrat beschlossen, Lawren, Aidan und die übrigen Gefangenen nach altem Recht abzuurteilen. Dazu benötigten sie keine moderne Rechtsprechung, die ohnehin nicht mehr an ihre uralten keltischen Wurzeln glaubte.
Kimberly folgte Ryans Blick und stellte sich neben ihn. Sie schluckte merklich und meinte leise: „Sieht aus, als hätte Kendra ihrer Schwester ein Beruhigungsmittel gegeben.“
„Hm … bevor du es wieder aussprichst, ich weiß, dass sie unschuldig ist und was sie anschließend für die Verletzten und mich getan hat“, kam Ryan seiner Freundin zuvor. „Ohne sie wären vielleicht mehr Menschen gestorben und ich hätte meinen Arm verlieren können, aber Lawren hat seine Strafe verdient. Mehr als verdient, er hätte eigentlich …“, dann stockte er und biss sich auf die Unterlippe. Er spürte die zu Schlitzen verengten Augen Kimberlys auf sich ruhen und behielt die restlichen Worte für sich, denn dieses Gespräch hatten sie schon oft geführt. Daher wusste er genau, was nun folgte.
„Ryan!“, erklang Kimberlys eindringliche Stimme, und obwohl sie wusste, dass Lawren absolut kein Unschuldslamm war, sträubte sie sich gegen die härteste aller Strafen, die bereits im Vorfeld gefordert wurde. Ryan zuckte kurz bei der Nennung seines Namens zusammen und hörte ihr pflichtbewusst zu, doch sein Blick richtete sich weiterhin auf die mit Tränen kämpfende Rossalyn McGrath. „Vergiss nie, dass Lawren die letzte Welle der Angreifer noch aufgehalten hat, sonst würde das Ordenshaus nicht mehr stehen. Hätte er nicht im letzten Moment seinen Fehler eingesehen und die anderen in die Irre geführt, wären sie und wir gestorben. Ohne ihn hätten wir am Ende nie den Hauch einer Chance gehabt und … und …“, sie brach ab.
„Ja, ich weiß, aber er ist verantwortlich dafür, dass mir einer der Rebellen die Spitze seiner Axt in die Schulter rammen konnte … das waren Höllenschmerzen, wenn ich das einmal nebenher erwähnen darf“, unterbrach Ryan ihren plötzlich stockenden Redefluss, griff sich an die gut verheilte Wunde, und wusste, dass sie durchaus im Recht war. Doch all seine Erlebnisse mit der Familie McGrath waren bisher für ihn negativ verlaufen, ganz besonders mit Aidan. Aidan zeigte gerne, dass er reicher war als der Rest des Ordens. Abgesehen von Ryan Tavish selbst, der nach der Testamentseröffnung seines Urgroßvaters sein Vermögen und das bis dahin von ihm verwaltete Vermögen seines Vaters zugesprochen bekam. Um Geld musste er sich niemals wieder Sorgen machen, denn sein Bankkonto war bis zum Rest seines Lebens gut gefüllt mit
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