Strafbataillon 999
»Auch wenn Bevern ein Schwein war … Mord bleibt Mord, ganz gleich, an wem er verübt wurde.«
»Ich werde gleich – ich werde nachher Schwanecke festnehmen lassen und ihn noch einmal verhören.«
Dr. Kukill hatte vergeblich versucht, Julia Deutschmann telefonisch zu erreichen. Da nach dem letzten Angriff britischer Bomberverbände die Leitungen zerstört waren, fuhr er hinaus nach Dahlem, getrieben von einer ihm bis dahin unbekannten Sorge und Ungewißheit, die sich immer mehr in Furcht wandelte, je länger er daran dachte, daß Julia den wahnwitzigen Plan ausführen könnte, Deutschmanns Versuche an sich selbst zu wiederholen.
Die Villa in Dahlem war verschlossen. Er schellte umsonst. Die Jalousien, durch Bombenabwürfe in der Umgebung zum Teil aus dem Rahmen gerissen, waren so weit heruntergelassen, wie es möglich war.
Dr. Kukill wartete eine Weile, dann öffnete er die kleine Vorgartentür und ging um das Haus herum. Nichts rührte sich. Das Haus sah grau, verlassen und leblos aus. Die Küchentür, die nach hinten in den Garten führte, war verschlossen. Julia war offensichtlich verreist. Doch merkwürdig – sie hatte ihm nie etwas davon gesagt. Aber dann sagte er sich, mit einer plötzlich aufkeimenden Bitterkeit, daß sie ihm, gerade ihm, sicher nie etwas sagen würde. Weder daß sie verreisen wollte noch irgend etwas anderes. Sie haßte ihn. Wie konnte er solch ein Narr gewesen sein, zu glauben, sie würde Deutschmann vergessen und seinen Wünschen entgegenkommen? Wohin konnte sie gegangen sein? Er wußte, daß sie keine Angehörigen mehr hatte. Ist vielleicht etwas mit Dr. Deutschmann vorgefallen? Vielleicht ist er in Rußland gefallen?
Dieser Gedanke, mit dem er in der letzten Zeit sehr oft gespielt hatte, war ihm nicht unangenehm. Und doch war da ein Unterschied zu früher, ein seltsames, bohrendes Gefühl der Unsicherheit – oder der Schuld? – wie er es früher nicht gekannt hatte. Früher war alles klar und einfach: Er begehrte Julia, er wollte sie haben, und er traute sich zu, sie zu gewinnen. Er mußte sie haben; ihr Widerstand reizte ihn nur und machte das Begehren oder das Besitzen zu einer fixen Idee. Er hatte bis jetzt alles bekommen, was er haben wollte. Warum sollte es mit Julia anders sein? Das schwierigste Hindernis war allerdings der lebende Dr. Deutschmann. Wenn er tot war, dann mußte ihm nach einer Weile des Trauerns Julia wie eine reife Frucht in den Schoß fallen. Was er dann mit ihr tun würde, wie es nachher weitergehen sollte, darüber macht er sich keine Gedanken.
Doch neuerdings war das alles nicht mehr so klar. Nach wie vor wollte er Julia für sich haben, aber anders als früher. Und er war nicht mehr ganz so sicher, ob er wirklich noch Deutschmanns Tod wünschte. Die Grenzen hatten sich verwischt, seine Empfindungen wurden seltsam kompliziert – ein Zustand, den er bislang nicht gekannt hatte. War das etwa – Liebe? Wenn es das war, dann war Liebe eine seltsame Angelegenheit …
Bevor er wieder zu seinem Wagen ging, stand er noch eine ganze Weile im Garten und betrachtete das Haus. Irgend etwas in seiner Brust tat ihm weh, es stieg ihm in den Hals, es war fast ein physischer Schmerz. In diesen Augenblicken hätte er vielleicht seine ganze Karriere und alles das, was er war und was er vorstellte, darum gegeben, wenn die Tür plötzlich aufgegangen wäre und Julia mit ausgebreiteten Armen auf ihn zukommen würde. Aber die Tür blieb verschlossen, das Haus war still und verlassen. So ging er wieder weg und fuhr davon. Am nächsten Tag wollte er wiederkommen, und er wußte schon, daß er immer wiederkommen würde – bis er sie fand. Er wollte sie suchen, er mußte sie finden, und sei es nur, um mit ihr über Belanglosigkeiten zu sprechen oder in ihrer Nähe zu schweigen.
Hinter einer schiefhängenden Jalousie, seitlich verborgen von der Gardine, sah ihm Julia aus dem Wohnzimmer nach.
Das war ein anderer Kukill als der, den sie bis dahin gekannt hatte. Nicht mehr der eiskalte, selbstsichere Gerichtsarzt, der gesuchte Sachverständige, ein Liebling der Partei und der Frauen. Jetzt erinnerte er sie an den Kukill, der sagte, seine Nächte seien lang und seine Träume selten schön. Und noch etwas anderes war da, das ihn umgab und das in seiner Haltung zu lesen war. Aber sie konnte es nicht ergründen, und nachdem er weggefahren war, wollte sie es auch nicht mehr. Sie zwang sich, nicht mehr an ihn zu denken, als sie sich hinter Ernsts Schreibtisch setzte. Dr. Kukill war
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