Strafbataillon 999
umher, und er wußte, daß ihn hier niemand hören würde. Es war umsonst, der Mann vor ihm war der Tod. Es gab keine Hilfe. Das wußte Bevern, und er schrie seine Angst hinaus, aber er schrie nicht nach Hilfe anderer Soldaten, sondern nach Hilfe jener Frau, nach der so viele tödlich verwundete Männer schrien, wenn sie ihr Leben mit dem Blut, das aus ihnen rann, mitten in Schmerzen entweichen fühlten. Er schrie »Hilfe!«, aber er meinte die Mutter: jene stille, bescheidene Frau, die er früher verachten zu müssen glaubte, weil sie sich nichts aus seinem Glauben machte und aus seinen Idealen; und er meinte nicht nur diese bestimmte Frau, die seine Mutter war, sondern alle Welten, die sich hinter diesem Wort verbergen, und die aus ihrem Schoß entspringen, und alle Mütter, die schützend die Hände um die weinenden Kinder legen: die letzte Instanz der Hilflosen und Sterbenden.
Mitten in diesen Schrei schlug Schwanecke zu.
Bevern sank betäubt zu Boden.
Nun handelte Schwanecke schnell und sicher, als hätte er es schon hundertmal durchexerziert.
Ohne den Blick von Bevern zu wenden, jagte er aus dem Maschinengewehr zwei, drei Feuerstöße gegen den Wald, in dem sich, wie er genau wußte, mindestens drei Scharfschützen verbargen. Dann schlug er mit der Handkante gegen Beverns Halsschlagader, packte ihn unter den Armen, hob den schweren, schlaffen Körper ächzend hoch, trug ihn hinter das Maschinengewehr und schob den Ohnmächtigen langsam empor.
Er brauchte nicht lange zu warten.
Schon nach zwei oder drei Minuten hörte und fühlte er einen dumpfen Schlag gegen Beverns Körper, und gleich darauf hörte er drüben im Wald einen Abschuß.
Er ließ den Körper fallen und beugte sich über ihn.
An der Nasenwurzel des leicht erstaunten, ein wenig verzerrten Gesichtes saß ein kleiner, runder, sauberer Einschuß. Der Stahlhelm wies hinten ein gezacktes Loch auf. Ein glatter Durchschuß. Manchmal ist der Krieg doch zu etwas nütze, dachte Schwanecke grimmig, und schießen können die Bruder, verdammt noch mal …
Dann richtete er sich wieder auf, drehte sich um und jagte eine ganze Serie wütender, langer Feuerstöße gegen den Wald. Immer wieder drückte er auf den Abzug, bis der Gurt leer war. Dann legte er einen neuen ein und jagte auch diesen durch den Lauf, und ein wilder, düsterer Triumph erfüllte ihn, als er das rüttelnde Stoßen des Maschinengewehrs in seiner Schulter spürte und die rasenden Garben den Schnee von den Zweigen im Wald gegenüber peitschten. Seine Augen waren voll flackernden Irrsinns.
»So«, sagte er, als auch der zweite Gurt leergeschossen war. »Das genügt.«
Der Tod Oberleutnant Beverns war keine große Sensation.
Er wurde registriert, in Listen aufgenommen, in Wehrstammrollen eingetragen. Hauptmann Barth sagte am Telefon zu Obermeier: »Er war ein irregeleiteter Junge – es gibt 'ne ganze Menge davon.« Und Wernher, der seine Probleme, die Bevern betrafen, so plötzlich und einfach gelöst sah, sagte: »Armer Kerl – stirbt, ohne je ein Mädchen geliebt zu haben …« Nur Krüll war recht nachdenklich und still. Daß dem schneidigen Bevern niemand eine Träne nachweinte, im Gegenteil, daß es aussah, als ginge ein Aufatmen durch das ganze Bataillon, vor allem aber durch die rückwärtigen Dienste, die Bevern mit Vorliebe unsicher gemacht hatte, machte ihn ängstlich oder gab ihm zumindest zu denken. Er wußte, daß er nicht weniger verhaßt war als Bevern. Wenn er auch ein wenig zahmer geworden war, nach seinem Erlebnis im Graben, wenn er auch fühlte, daß er etwas mehr in die Gemeinschaft der Soldaten gefunden hatte, war er sich seiner Untergebenen nicht sehr sicher – zumal er immer noch der Überzeugung war, daß ein Spieß im Strafbataillon vornehmlich dazu da war, um den Soldaten die Freude am Leben zu vergällen.
Für Schwanecke allerdings war die Sache mit Beverns Begräbnis hinter den Häusern von Babinitschi nicht zu Ende.
Als erster, im Graben noch, hatte ihn Unteroffizier Hefe ausgefragt.
»Bevern ist von den Scharfschützen geknackt worden!« hatte Schwanecke keuchend erzählt, wie ein geborener Schauspieler darauf achtend, daß in seiner Stimme das richtige Maß von Bestürzung war.
»Wo?«
»Bei mir, ganz vorne.«
»Ach …« Unteroffizier Hefe hatte Schwanecke schief angesehen. »Besser konnte der Affe ja nicht fallen. Wer war dabei?«
»Keiner. Nur ich.«
»Also bist du der einzige Zeuge?«
»Na klar.«
»Und warum hast du nicht verhindert, daß
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