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Straight White Male: Roman (German Edition)

Straight White Male: Roman (German Edition)

Titel: Straight White Male: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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all das Grauen, das die Themse erlebt hatte. Etwa als 1878 der Schaufelraddampfer Princess Alice von dem Kohlefrachter Bywell Castle in zwei Stücke gerissen wurde und innerhalb von vier Minuten gesunken war. Siebenhundert Menschen waren dabei zu Tode gekommen, genau hier, gleich unter ihm. Viele von ihnen hatte der verpestete Fluss selbst umgebracht.
    Kennedy blickte nach Osten: An der North Bank ragte die gewaltige Kuppel von St. Paul’s in den Himmel, deren Steine auf dem Fluss von Oxfordshire bis hierher gereist waren.
    Und seit Jahrhunderten kamen die Menschen auch deshalb hierher, um Schluss zu machen. Jede Woche wurde ein neuer Leichnam aus der Themse gefischt. Das besagte zumindest die Statistik, die ihm mal zu Ohren gekommen war. Jede Woche dachte sich irgendjemand: Dieser Witz ist nicht mehr komisch. Kennedy nahm einen tiefen Schluck Whisky, blickte nach rechts, dann nach links – niemand zu sehen – und stellte sich auf die unterste Querstrebe der Brüstung. Er blickte hinab. Ein Sturz von wie vielen Metern? Zehn oder fünfzehn? Er checkte die Temperatur auf seinem iPhone. Wenige Grad über dem Gefrierpunkt. Das Wasser war sicherlich ein gutes Stück kälter. Eine gewaltige Welle der Müdigkeit erfasste ihn, als würde sein ganzer Körper gähnen. Das Valium. Wie viele Pillen hatte er jetzt genommen? Das Wasser rauschte um die Pfeiler, auf denen die Brücke ruhte. Es floss schnell, die Strömung war stark, den Gezeiten unterworfen. Man bekommt sofort einen Schock, kann die Glieder nicht mehr bewegen. Mit dem Gewicht der Kleider und Schuhe, dem Alkohol und den Pillen … Er stellte sich vor, wie seine Schläfen taub wurden, das ölige Wasser seine Lungen füllte. Nach spätestens zwei Minuten verlor man das Bewusstsein. Nach zwei harten Minuten, wohlgemerkt. Aber dann war es vorbei. Würde ein Boot seinen Körper rammen? Ihn entzweireißen? Würde er sich unter einer Brücke verheddern? Oder am schlammigen Ufer angespült werden, wo ihm die Möwen die Augen auspickten?
    O Robin – es tut mir leid. Es tut mir so leid. Ich war einfach … zu nichts nütze.
    »Da habe ich gelegentlich schon mal gedacht, dass es schön wäre, wenn zu Hause zwei Menschen auf mich warten würden. Wie bei allen anderen auch.«
    Ständig kamen ihm diese Gedanken. Diese Dinge gingen niemals weg. Sie blieben immer bei einem. Ganz genau so war es, Kingsley Amis. Man konnte nur hoffen, irgendwie damit leben zu können.
    Oder auch nicht.
    Er trank den letzten Rest des billigen Fusels. Dann warf er die Flasche über die Brüstung, sah dabei zu, wie sie fiel, aufklatschte und versank. Die grünen, moosigen Algen an den Pfeilern markierten unterschiedliche Wasserstände. Den Gezeiten unterworfen. Er beugte sich weiter nach vorn. Schwindel überkam ihn. Vielleicht war das alles übertrieben. Würde er ein Leben ohne Schwanz führen, sich zufrieden und gelassen mit seinem Stumpf arrangieren können? Seinem Pinkelpickel? Immerhin hatte ihm dieses Ding eine Menge Schwierigkeiten bereitet. Und es war ja noch nicht zu spät. Er konnte die ganze Sache einfach …
    Nein. Genug davon. Komm, lass mich bis zuletzt meinen Mann stehen. Die Dinge zu Ende bringen. Ein paar letzte Worte womöglich. Kennedy liebte letzte Worte, er war so eine Art Sammler.
    »Ich ergebe mich jetzt dem Unvermeidlichen.« Philip Larkin, für den sich im Leben so vieles um den Tod gedreht hatte.
    »Nichts als den Tod.« So hatte die beherzte Antwort der sterbenden Jane Austen auf die Frage gelautet, ob sie noch etwas bräuchte.
    Emily Dickinsons ahnungsvolles, mystisches »Der Nebel steigt …«.
    Al Jolsons ziemlich entsetzliche Worte: »Es ist so weit! Ich gehe. Oh, ich gehe.« Voll des Wissens und Schreckens über das, was geschehen würde.
    Schließlich Marx, furchtlos und treffend: »Hinaus! Letzte Worte sind für Narren, die noch nicht genug gesagt haben.«
    Kennedy tendierte zu: »Darf ich jetzt wieder gehen?«
    Er schwang ein Bein über das Geländer und saß nun rittlings auf der Brüstung. Unter ihm toste sprichwörtlich der dunkle Abgrund.
    Er dachte an seinen Vater, der als Schreiner jeden Tag seines Lebens so hart gearbeitet hatte und mit neunundfünfzig tot umgefallen war. Ein Herzinfarkt, während Kennedy an Undenkbar geschrieben hatte. Das war jetzt fast zwanzig Jahre her. Sein Dad hatte nicht lange genug gelebt, um noch das gedruckte Buch in Händen zu halten. Kennedy erinnerte sich an seinen Geruch, die nach Tabak riechende Strickjacke, wie stark seine

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