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Straight White Male: Roman (German Edition)

Straight White Male: Roman (German Edition)

Titel: Straight White Male: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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auf der andern Seite
    Prunken mit unversehrtem Eiskrem-Herzblatt
    Zum Hohn für die, die nach mir kommen.
    Blind für die Blüten, die mir still zur Seite standen
    War all mein Trachten, sie zu pflücken.
    Allein am großen Rad hab ich das Schiff
    Auf See gelotst, da war der Hafen schon in Sicht.
    Toastbrotscheiben und Mahnungsschreiben
    Der Kalender an der Wand
    Fotografien in Plastikrahmen
    Oh, wie hell Banalität im Verlust funkeln kann.
    Es ist der Drang zum Sprung ins Unvermeidliche
    Tief hinab in fremde, kalte Wasser
    Wo der Blick, nach Atem ringend
    Gefriert im Spiegelglanz von bodenlosen Augen.

einundfünfzig
    Jeder von uns hat sich schon einmal seine eigene Beerdigung ausgemalt. In unseren Köpfen sind wir die Lieder durchgegangen. Standen vor unserem Sarg und betrachteten die Trauergemeinde. Ich kann nicht glauben, dass er wirklich gekommen ist. Warum ist sie nicht hier? Und so weiter. Wir finden Gefallen daran, uns die Gesichter derer, die uns am nächsten standen, von Kummer und Gram gezeichnet vorzustellen. Wer wird am herzerweichendsten weinen? Wer wird uns wirklich vermissen? Wird jemand da sein, mit dem wir schon immer mal schlafen wollten? Werden sich Menschen schamlos den Bauch vollschlagen, obwohl sie uns eigentlich verabscheut haben? Wir stellen uns die Predigt und die Grabreden vor. Schwierig wird es, wenn wir an unsere Kinder denken – wie hart das für sie sein muss. Natürlich fragen wir uns, wie der Zuspruch sein wird. Reiht sich eine leere Bankreihe an die nächste? Oder gibt es nur noch Stehplätze? Bestseller oder Remittende? Wenn man im fortgeschrittenen Alter stirbt, sollte man sich wohl eher auf weniger Andrang einstellen. Scheide jung dahin, und du hast bessere Chancen, dass es rappelvoll wird. Und wir fragen uns, was nachher an der Bar für Geschichten über uns erzählt werden. Weißt du noch, als er dies gesagt hat? Erinnerst du dich daran, wie sie das getan hat? Es sollte ein Tag werden, über den noch lange geredet wird. Wir sind davon überzeugt, dass wir – wenn wir zugegen wären – den Trauernden an ihren Gesichtern ablesen könnten, wer uns wirklich geliebt hat. Welche Männer sich an unserer Gesellschaft erfreut und welche Frauen sich nach uns verzehrt haben.
    Hier und heute, in der kleinen, proppenvollen Kirche am Stadtrand von Dùn Laoghaire, saßen die wahrhaft Trauernden in der ersten Reihe: Patrick, seine Frau Anne und ihre Kinder. Patrick hatte gerötete Augen und sah aus, als hätte er in den letzten Tagen nicht viel geschlafen. Anne hielt zärtlich seine Hand, während sie traurig dem Priester zuhörte. Connie Blatt demonstrierte die Würde und Haltung der britischen Oberklasse. Ihre Tränen vergoss sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dann war da noch Millie: beherrscht, nachdenklich. Und neben ihr Robin, die in ihrem schwarzen Kleid wunderschön aussah. Älter als ihre sechzehn Jahre. Sie hielt ein feuchtes Papiertaschentuch in den Händen und blickte mit gesenktem Kopf zu Boden. Ihre erste Beerdigung. Der Sarg, sein Inhalt – der Anblick war schwer zu ertragen. Die physische Unmöglichkeit des Todes in der Vorstellung eines Lebenden. Vor fünf Jahren war sie mit ihrem Vater in den Weihnachtsferien im Metropolitan Museum in New York gewesen, um sich den Hai von Damien Hirst anzuschauen. Sie war davon beeindruckt gewesen. Auch von der großen, in zwei Hälften geschnittenen Kuh. Danach hatten sie in der Oyster Bar in der Grand Central Station gegessen. Ihre erste Auster. Ihr Dad hatte ihr alles schmackhaft machen können. Sie blickte auf und sah zum Sarg hinüber. »What’s ›bury‹?, Rosie said. Something you do when people are dead« – eine Zeile aus einem Song von einer Compilation, die ihr Vater ihr vor Jahren aufgenommen hatte. So eine Indie-Nummer aus den Achtzigern. Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wer sie gesungen hatte. Als ihr die Worte in den Kopf kamen, fühlte Robin, wie ihre Schultern bebten. Sie begann zu schluchzen.
    Kennedy legte den Arm um seine Tochter und drückte sie. »Schon gut«, sagte er sanft. »Ist ja schon gut.«
    »Und jetzt liest für uns aus dem Brief des heiligen Paulus an die Korinther«, verkündete der Priester, »Kathleens ältester Sohn, Kennedy Marr.«
    Er stand auf und ging zum Altar. Er fühlte sich ein wenig befangen, mit diesem riesengroßen Pflaster, das immer noch auf seiner Stirn klebte, und dem leuchtenden Bluterguss um sein rechtes Auge. Sein Blick schweifte über die Trauergemeinde, die für

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