Strange Angels: Verraten: Roman (PAN) (German Edition)
zusammengeknüllt und Dylan gesagt, er solle mir gefälligst etwas Interessanteres anbieten. Nicht einmal der Kurs in »Gabenbeherrschung« taugte etwas. Da saß ich mit fünf Djamphir- Jungen zusammen, die sich die Zeit mit dämlichen Witzen vertrieben und mich ununterbrochen aus dem Augenwinkel beobachteten. Geschichte wurde von einem blonden Lehrer unterrichtet, der mich zwischen seinen Sätzen anstierte, als wollte er mich weghypnotisieren.
Ich hatte es in keinem Klassenraum länger ausgehalten. Mich nahe der Waffenkammer herumzutreiben, schien mir weit verlockender.
Graves nervte mich deshalb dauernd. Du darfst nicht schwänzen, Dru! Das ist wichtig!
Klar doch! Als brauchte ich Nachhilfe in Bürgerkunde! Als würde es irgendjemanden kratzen, solange ich im Haus blieb. Als würde es mich kratzen, nachdem ich nun wusste, dass die ganze Welt aus den Fugen war.
Nun, da Dad fort war.
Denk nicht daran!
Der Stein war gleichzeitig glitschig und körnig. Ich suchte mir eine Bank, hustete und schöpfte von dem schweren Nichtwasser auf, das ich mir ins Gesicht schmierte. Es britzelte, als die beruhigende Wärme in die entstehenden blauen Flecken eindrang, und ich stieß einen Laut aus, der halb wie ein Seufzen, halb wie ein Schluchzen klang. Er hallte von den kahlen Wänden wider. Alle Spiegel waren beschlagen, wie immer, und trotzdem war das Echo klar.
Ich fragte mich wie jedes Mal, wenn ich hier saß, ob meine Mutter jemals diese Wanne benutzt hatte. Ob sie auch hier gesessen und ihre eigene Stimme gehört hatte, die vom Stein, Glas und Metall zurückgeworfen wurde. Ob sie sich jemals einsam gefühlt hatte.
Sie hatte dem Orden angehört, jedenfalls sagten Christophe und Dylan das. Aber niemand wollte über sie reden, als wäre sie eine Schande. Und ich wusste nicht, ob sie überhaupt hier gewesen war. Die ganze Anlage war ziemlich groß, wenn auch winzig nach gängigen Maßstäben.
Ungefähr vierhundert Schüler waren wenig für eine Schule, und es gab nicht einmal einen Hubschrauberlandeplatz. Aber ich hätte mich auch irren können, denn Christophe hatte ja nicht gerade mit Informationen um sich geworfen.
Ich versuchte bloß, möglichst nicht darüber nachzudenken. Was mir nicht gelang.
Ich riss die Augen auf, so dass das Nichtwasser zerriss und in kleinen Scherben weißen Lichts zur Seite flog. Mein Haar hing mir in nassen Strähnen herunter, und die Locken bemühten sich nach Kräften, sich wieder aufzukräuseln. Ich berührte das weiche runde Metall an meinem Hals und fuhr zusammen, als hätte ich auf einen Bluterguss gedrückt.
Das Medaillon lag gleich unter der Vertiefung in der Schlüsselbeinmitte auf. Es war aus schwerem Silber, so lang wie mein Daumen. Vorn waren ein Herz und ein Kreuz eingraviert, hinten – auf der Seite, die auf meiner Haut auflag – fremde Symbole. Über Jahre war ich es gewohnt gewesen, das Silber an Dad blinken zu sehen, denn er war keinen Schritt ohne das Medaillon gegangen.
Und jetzt, wenn ich es im Spiegel sah oder mit den Fingern darüberstrich, durchfuhr mich jedes Mal ein milder elektrischer Schlag, als hätte ich meinen Finger in eine Lampenfassung gesteckt. Es war schlicht falsch, dass ich es trug.
Der nächste schmerzliche Gedanke folgte verlässlich. Ich konnte ihn nicht länger wegschieben.
Dad.
Er ging den Korridor entlang, und das Surren wurde so schlimm, dass es mich vollkommen durchschüttelte. Der Traum verlief wie farbige Tinte auf nassem Papier, und während er verblasste, wollte ich etwas sagen, irgendetwas, um ihn zu warnen.
Er blickte nicht einmal auf, ging weiter auf jene Tür zu, und der Traum schloss sich wie eine Kameralinse, wenn sich die Dunkelheit vom Rand in die Mitte zieht.
Ich wollte immer noch schreien, als Dad wie ein Schlafwandler seine freie Hand ausstreckte und den Knauf drehte. Und die Finsternis dahinter lachte und lachte und lachte …
Ich schloss meine Augen wieder, lockerte meine Beine und glitt unter die Wasseroberfläche. Sie schwappte über mir zusammen und arbeitete sich wie ein heilsamer Balsam durch meine Haut bis zu den Knochen. Leider reichte die Kälte in mir viel zu tief, als dass die Wärme bis dorthin hätte vordringen können. Und sie hatte nichts mit meinem Körper zu tun.
Er ist tot, Dru. Du weißt, wer es war, und du weißt, warum.
Oder nicht? Ich wusste, dass Dad damit gerechnet hatte, wieder nach Hause zu kommen. Das musste er, denn auf keinen Fall hätte er mich ganz allein auf Nimmerwiedersehen im Haus
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