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Straße der Diebe

Straße der Diebe

Titel: Straße der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathias Enard
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und betete die ganze Litanei der Beschwörungsformeln herunter, Gott behüte uns, Gott schütze uns vor dem Unheil, Es gibt keinen Gott außer Gott und so weiter, dabei würzte er jede Formel mit Backpfeifen und Gürtelhieben, während meine Mutter in einer Ecke des Zimmers jammerte, auch sie weinte und sah mich an, als wäre ich der Teufel in Person, und als mein Vater erschöpft von mir abließ, nicht mehr in der Lage war, mich weiter zu schlagen, trat eine große Stille ein, eine gewaltige Stille, und alle beide starrten mich unverwandt an. Ich war ein Fremder, ich spürte, dass diese Blicke mich vertreiben sollten, ich war gedemütigt und zu Tode erschrocken, die Augen meines Vaters waren voller Hass, ich rannte davon. Ich schlug die Tür hinter mir zu, auf dem Treppenflur hörte ich durch die Tür Meryem weinen und schreien, Schläge knallten, man hörte Beschimpfungen, Hündin, Schlampe, ich rannte die Treppen hinunter, als ich schließlich draußen war, merkte ich, dass ich aus der Nase blutete, dass ich im Hemd dastand, gerade mal zehn Dirham in der Tasche hatte und nirgendwohin konnte. Zum Glück hatte der Sommer gerade begonnen, der Abend war mild, die Luft schmeckte salzig. Ich setzte mich auf den Boden und lehnte mich an den Stamm eines Eukalyptusbaums, ich nahm meinen Kopf in beide Hände und flennte wie ein Kind, bis die Nacht anbrach und zum Gebet gerufen wurde. Ich stand auf, ich hatte Angst; ich wusste, dass ich nicht zurück nach Hause gehen würde, ich würde nie mehr nach Hause gehen, es war unmöglich. Was sollte ich tun? Ich ging zur Moschee in unserem Stadtviertel, um vielleicht Bassam am Ausgang abzufangen. Er sah mich, riss die Augen auf, ich machte ihm ein Zeichen, seinen alten Herrn stehenzulassen und mit mir zu kommen. Mensch, weißt du, wie du aussiehst? Was ist passiert? Mein Alter hat mich nackt mit Meryem erwischt, sagte ich, und allein bei der Erinnerung an diesen Augenblick biss ich die Zähne zusammen, füllten sich meine Augen mit Tränen der Wut. Die Scham, die schreckliche Schande, dass man uns nackt entdeckt hatte, dass unsere Körper den Blicken preisgegeben waren, diese verzehrende Scham lähmt mich sogar heute noch – Bassam zischte, Scheiße, das hätte dir echt nicht passieren dürfen, du sagst es, antwortete ich, ohne mich in Einzelheiten zu verlieren. Und was willst du jetzt machen? Keine Ahnung. Aber nach Hause kann ich nicht. Wo willst du denn schlafen, fragte Bassam. Wenn ich das wüsste. Hast du Geld? Zwanzig Dirham und ein Pfund, mehr nicht. Er kramte in seinen Taschen und steckte mir ein paar Münzen zu. Ich muss gehen. Sehen wir uns morgen? Wie immer? In Ordnung, sagte ich, und er ging. Ein wenig verloren streifte ich durch die Stadt. Ich ging wieder die Avenue Pasteur hinauf, dann durch die kleinen abschüssigen Gassen hinunter zum Meer; in den Animierbars brannten rote Lichter, vor den Schaufensterfronten saßen dunkle Typen. Auf der Uferstraße gingen in aller Ruhe Pärchen Arm in Arm spazieren, und dabei musste ich an Meryem denken. Ich kehrte zum Hafen zurück und stieg wieder die Stadt hinauf bis zu den Gräbern: Ich setzte mich so, dass ich die Meerenge im Blick hatte, in Spanien brannten helle Lichter; ich stellte mir vor, wie die Leute an den Stränden tanzten, malte mir die Freiheit aus, die Frauen, die Autos; was würde ich noch tun können, ohne Dach über dem Kopf, ohne Geld? Den Hut hinhalten? Arbeiten? Ich musste nach Hause gehen. Diese Aussicht war von vornherein vernichtend. Unmöglich. Ich legte mich hin, betrachtete die Sterne, lange Zeit. Ich döste, bis die Kühle des heraufziehenden Morgens mich zwang, aufzustehen und herumzulaufen, um mich aufzuwärmen. Alles schmerzte von den Schlägen, aber auch die Glieder von der Nacht auf dem Fels. Hätte ich Ahnung gehabt, wäre ich brav nach Hause gegangen, hätte meinen Vater um Verzeihung angefleht. Wenn ich bloß nicht so stolz gewesen wäre, ich hätte es tun sollen, viele Demütigungen und Verletzungen wären mir erspart geblieben, vielleicht wäre ich selbst Lebensmittelhändler geworden, vielleicht hätte ich Meryem geheiratet, vielleicht wäre ich jetzt, zu dieser Uhrzeit, in Tanger, säße in einem schönen Restaurant mit Meerblick beim Abendessen oder würde meine Kinder verdreschen, eine ganze Horde brüllender und hungriger Welpen.

Ich hatte Hunger, ich futterte verdorbene Früchte, die die Gemüsehändler den Bettlern überließen, ich musste mich um zermatschte Äpfel prügeln, dann um

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