Straße der Diebe
die billigen Lehrbüchern ähnelten) kosteten 4,90 Dirham. Die Hölle, denn man brauchte kistenweise Kleingeld zum Herausgeben, fast ebenso viele Münzen wie Bücher. Bei dem Preis könnte man sie doch gleich verschenken, sagte ich zum Cheikh. Keinesfalls, unmöglich, die Leute müssen sich bewusst sein, dass dieses Druckwerk einen Wert hat, sonst werfen sie es in den Müll oder zünden den Grill damit an. Und wenn wir fünf Dirham dafür nähmen, dann wäre das Problem mit dem Kleingeld gelöst. Zu teuer, antwortete der Cheikh. Jeder muss es sich leisten können.
Diese Handreichungen waren der Renner. Unser Bestseller: Die Sexualität im Islam , ich habe Hunderte davon verkauft, bestimmt weil alle dachten, sie fänden was Geiles darin, Ratschläge zu Stellungen oder gewichtige religiöse Argumente dafür, dass Frauen bestimmte Praktiken akzeptierten, aber weit gefehlt, der Geschlechtsakt wurde darin »Koitus«, »Liebesspiel« oder »Beischlaf« genannt, und das Ganze war eine alles andere als spannende kommentierte Zusammenstellung von Sätzen großer mittelalterlicher Rechtsgelehrter – meiner Meinung nach ein Betrug, der nicht mal seine fünf Dirham wert war. Neunzig Prozent der Käufer waren Männer. Bei den Leserinnen verkauften sich Die Heldinnen des Islam am besten, ein eher simples und zugkräftiges Pamphlet über die moderne Welt, das herrschende Unrecht und darüber, wie allein die Hinwendung der Frauen zur Religion die Welt retten konnte, gestützt auf das Vorbild der großen Frauen des Islam, vor allem auf Khadidja, Fatima und Zaynab.
Der andere Teil unseres Sortiments war teurer, 9,90 pro Band. Es handelte sich um gebundene Bücher, in der Regel mehrbändige Werke, die schwer waren wie Mühlsteine. Die Sammlung hieß Das Erbe des Islam und bestand aus Wiederauflagen von Werken klassischer Autoren: Lebensbeschreibungen des Propheten, Kommentare zum Koran, Werke der Rhetorik, Theologie, Grammatik. Da diese Schwergewichte schöne, mit bunten Kalligraphien verzierte Kunstledereinbände hatten, dienten sie im Stadtviertel vor allem zur Dekoration der Wohn- und Esszimmer. Das tausend Jahre alte Arabisch zu lesen ist nämlich kein leichte Übung. Wir verkauften auch CD s mit Aufnahmen des Korans und sogar eine Enzyklopädie des Korans auf DVD , die nicht uninteressant war, denn sie ersparte es einem, sich die fünfzig verschiedenen Kommentarbände aufzuhalsen, die sie beinhaltete. Traum eines jeden Buchhändlers.
Das »Haus der Verbreitung« war den ganzen Tag über geöffnet und mit ihm meine Buchhandlung, aber es kamen nur wenig Kunden. Manche schauten ab und zu herein, um Titel zu kaufen, die ich nicht auf dem Büchertisch anbieten durfte. Ich fragte Cheikh Nouredine, ob sie von der Zensur verboten waren, natürlich seien sie das nicht, sagte er, es handle sich lediglich um Texte, die umfangreichere Kenntnisse erforderten und falsch interpretiert werden konnten. Darunter waren Werke wie Der Islam gegen das zionistische Komplott und Pamphlete von Sayyid Qutb.
Eine meiner Aufgaben (eigentlich die angenehmste) bestand darin, mich um die Website und die Facebook-Präsenz der Gruppe zu kümmern, die laufenden Veranstaltungen anzukündigen (es waren allerdings nicht viele), was mir den ganzen Tag Zugang zum Internet ermöglichte. Ich erledigte meine Arbeit sorgfältig. Cheikh Nouredine war angenehm, gebildet, nett. Er hatte die Theorie in Saudi-Arabien und die Praxis in Pakistan gelernt, wie er mir erklärte. Er empfahl mir Bücher. Wenn ich keine Lust mehr auf Pornos im Web hatte (ein wenig Sünde schadet niemandem), lag ich stundenlang bequem auf dem Teppich ausgestreckt und las; nach und nach gewöhnte ich mich an das klassische Arabisch, das eine erhabene, machtvolle, fesselnde Sprache von außerordentlichem Reichtum ist. Ich verbrachte Stunden damit, anhand der großen Kommentatoren die Schönheiten des Korans zu entdecken; allein die Komplexität der Schrift machte mich sprachlos. Der Koran war ein Ozean. Ein Ozean aus Licht. Ich stellte mir den Propheten gerne in seiner Höhle vor, wie er sich in seinen Mantel hüllte oder von seinen Mitstreitern umringt in die Schlacht zog. Der Gedanke, dass ich ihre Handlungen nachvollzog, die Sätze wiederholte, die sie selbst psalmodiert hatten, half mir, das Gebet durchzuhalten, das nichtsdestotrotz eine endlose Strafarbeit war.
Ich hatte den Eindruck, wieder ins Lot zu kommen, den Schmutz aus den Monaten meines Umherirrens abzustreifen. Ich konnte mir sogar
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