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Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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aufs Bett, schob mir einen Schokoladenriegel nach dem anderen ins Gesicht – wie Baumstämme in eine Sägemühle – und sah mir auf HBO eine handlungsarme, aber um so brutalere Hollywood-Produktion an. Dann lag ich voll gestopft und doch ungesättigt im Dunkeln, starrte die Decke an
und lauschte dem Krakeelen der Shriner gegenüber und dem unaufhörlichen Rumoren meines Magens.
    So verging die Nacht.
    In aller Frühe wachte ich auf und warf zitternd vor Kälte einen Blick durch den Spalt in der Gardine. Es nieselte. Keine Menschenseele war zu sehen der beste Zeitpunkt, um eine Bombe in das Restaurant zu werfen. Bei meiner nächsten Reise nach Wyoming würde ich eine Ladung Plastiksprengstoff mitnehmen. Und Sandwiches. Ich schaltete den Fernseher ein, kroch zurück ins Bett und zog die Decke bis unter die Augäpfel. Jimmy Swaggart bat noch immer um Vergebung. Meine Güte, kann der Mann heulen. Er ist ein menschlicher Wasserfall. Ich sah ihm eine Weile zu, stand dann auf und schaltete um. Auf allen Kanälen war es die Stunde der Prediger. Meistens saßen ihre pummeligen Frauen an ihrer Seite, und ich verstand, warum sie allesamt elende Sünder waren. Im Allgemeinen trat in der Sendung auch der Schwiegersohn des Predigers auf, ein gestriegeltes Kerlchen, das ein Lied mit einem Titel wie »Jesus liebt dich, und bitte schick uns viel, viel Geld« zum Besten gab. Es kann nur wenige Erfahrungen geben, die noch entmutigender sind, als sonntagfrüh in einer Gegend wie Wyoming allein in einem schummrigen Motelzimmer zu liegen und fernzusehen.
    Ich habe noch die Zeiten erlebt, als sonntags morgens im Fernsehen nur ein Testbild zu sehen war. So alt bin ich nun schon. Da schaltete man WOI ein, und alles, was man zu sehen bekam, war das Testbild. Man blieb trotzdem davor sitzen, denn etwas anderes gab es ja nicht. Irgendwann blendeten sie das Testbild dann aus und zeigten Sky King, was, verglichen mit dem Testbild, eine interessante und aufregende Sendung war. Heutzutage zeigt das amerikanische Fernsehen keine Testbilder mehr. Das ist eigentlich schade, denn hätte ich die Wahl zwischen einem Testbild und einem Fernsehprediger, würde ich mich ohne zu zögern für das Testbild entscheiden. Auf eine seltsame Weise waren diese Bilder entspannend, und natürlich baten
sie nicht um Geld, und man musste sich auch nicht die Gesänge irgendeines Schwiegersohns anhören.

    Kurz nach acht verließ ich das Motel und fuhr durch den Nieselregen zum etwa fünfundzwanzig Meilen entfernten Devils Tower. Devils Tower ist der Berg, auf dem in Steven Spielbergs Film Unheimliche Begegnung der Dritten Art die Außerirdischen landeten. Dieser Berg ist so einzigartig und ungewöhnlich, dass ich mich frage, welchen Berg Spielberg wohl genommen hätte, wenn es ihn nicht gäbe. Man sieht ihn schon von weitem, und je näher man ihm kommt, desto ehrfurchtgebietender wirkt er. Devils Tower ist ein 259 Meter hoher Kegelstumpf aus Stein, der aus einer sonst nichts sagenden Ebene ragt. Die wissenschaftliche Erklärung für seine Entstehung lautet, dass er als glühender Gesteinsklumpen vulkanischen Ursprungs aus der Erde geschossen kam und dann in seiner jetzigen Form erstarrte. Es heißt, im Mondlicht begänne er zu glühen. Selbst jetzt, an diesem verregneten Sonntagmorgen, während die Wolken über ihn hinwegzogen, wirkte er so übernatürlich, als wäre er vor Urzeiten dort hingestellt worden, damit irgendwann außerirdische Wesen auf ihm landen können. Ich hoffe nur, dass sie nicht essengehen wollen, wenn sie denn kommen sollten.
    Ich stellte den Wagen ab und stieg aus. Durch den Regen blinzelnd betrachtete ich den Felsen. Neben der Straße verkündete ein Schild, dass er einst ein Heiligtum der Indianer war und dass er 1906 zum ersten Nationalmonument Amerikas erklärt wurde. Wie hypnotisiert von seiner erhabenen Würde – und von einem dringenden Bedürfnis nach Kaffee – starrte ich ihn an, bis der Regen durch meine Kleider drang. Dann ging ich zurück zum Auto und fuhr weiter. Da ich am Vortag auf mein Abendessen verzichten musste, beabsichtigte ich, heute der genussvollsten aller amerikanischen Essgewohnheiten zu frönen – einem sonntäglichen Frühstück im Restaurant.
    Sonntags frühstückt jedermann in Amerika auswärts. Das ist
ein so beliebter Zeitvertreib, dass man meistens für einen Tisch Schlange stehen muss. Aber das Warten lohnt sich immer. Außerdem ist man in Amerika so daran gewöhnt, ein aufkommendes Hungergefühl prompt zu

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