Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
Mutter, mein Bruder und meine Schwester den Rest des Nachmittags in Howard Johnson’s Restaurant verbracht und Schokoladeneis gegessen hatten.
Das Custer Battlefield National Monument war jedoch eine angenehme Überraschung. Das Visitors’ Centre beherbergte ein kleines, aber interessantes Museum mit Relikten sowohl der Indianer als auch der Soldaten. Auf einem topographischen Modell des Schlachtfeldes wurde mit Hilfe von kleinen Glühbirnen der Hergang der Schlacht veranschaulicht: Eine Kette blauer Lichter marschierte voller Zuversicht einen Hügel hinab, um ihn dann, verfolgt von einer weitaus größeren Anzahl roter Lichter, wieder hinaufzueilen. Auf dem Hügel drängten sich die blauen Lichter dicht aneinander, blinkten eine Weile wütend auf und wurden dann eins nach dem anderen von den heranstürmenden roten Lichtern ausgelöscht. Auf dem Modell war die Schlacht nach ein paar Minuten vorüber; im wirklichen Leben hat sie nicht viel länger gedauert. Custer war ein Idiot und eine Bestie. Er hat sein Unglück verdient. Sein Plan war es, die Männer, Frauen und Kinder vom Volk der Cheyenne und der Sioux in ihrem Lager am Ufer des Little Bighorn River abzuschlachten, doch sie waren zahlreicher und besser bewaffnet, als er erwartet hatte. Custer und seine Männer flohen den Hügel hinauf, auf dem heute das Visitors’ Centre steht, fanden dort aber keinen Schutz vor ihren Verfolgern und wurden innerhalb kürzester Zeit überrannt. Ich verließ das Visitors’ Centre und ging den Hang hinauf zu der Stelle, an der Custer sein letztes Gefecht verlor.
Das ehemalige Schlachtfeld befindet sich auf einem öden, baumlosen Hügel, um den unentwegt der Wind fegt. Vom Gipfel konnte ich fünfzig oder sechzig Meilen weit blicken, doch in dieser Weite stand nicht ein Baum. Vor mir breitete sich eine Hügellandschaft aus gelblichem Grasland aus, die bis zum weißen Horizont reichte. Es war eine so leere und einsame Gegend,
dass ich den Wind kommen sah, bevor ich ihn fühlte. Das Gras weiter unten am Hügel begann zu wogen, kurz darauf fuhr mir ein Windstoß durch die Haare, dann war es wieder ruhig.
Das Gelände, auf dem Custers Widerstand endgültig zusammenbrach, ist von einem schwarzen, gusseisernen Zaun umgeben. Custer’s Last Stand umfasst ein Areal von zirka fünfzig Metern Durchmesser. Weiße Steine markieren die Stellen, an denen die einzelnen Soldaten gefallen sind. Ungefähr fünfzig Meter hinter mir, auf der anderen Seite des Hügels, standen zwei weiße Steine dicht beieinander. Bis dahin waren offenbar zwei Soldaten gekommen, als sie um ihr Leben rannten, bevor sie niedergestreckt wurden. Niemand weiß, wo und wie viele Indianer bei dieser Schlacht gefallen sind, denn die Sioux und Cheyenne nahmen ihre Töten und Verletzten mit sich fort. Genau genommen weiß niemand so recht, was überhaupt an jenem Tag im Juni 1876 geschehen ist, denn die Indianer machten durchweg widersprüchliche Angaben, und von den weißen Soldaten hat keiner die Schlacht überlebt. Sicher ist jedenfalls, dass Custer gründlich Mist gebaut hat, was ihn und seine 260 Männer das Leben kostete.
Wie sie da in dieser gottverlassenen windigen Gegend herumlagen, boten die Steinblöcke einen unerwartet, beinahe unangenehm ergreifenden Anblick. Man konnte sie nicht betrachten, ohne sich vorzustellen, welch einen fremdartigen und schrecklichen Tod die Soldaten dort gestorben sein müssen. Und einmal mehr befand ich mich in nachdenklicher Stimmung, als ich den Hügel hinab zurück zum Auto ging und auf den endlosen Highway zurückkehrte.
Durch eine moosig braune Hügellandschaft fuhr ich nach Buffalo, Wyoming. Die Weite und Leere von Montana ist überwältigend. Der Staat ist noch größer und noch leerer als Nevada, denn er hat keine Städte von nennenswerter Größe. In Helena, der Hauptstadt von Montana, leben nur 24 000 Menschen. Die
Gesamtbevölkerung dieses 145 000 Quadratmeilen großen Staates beläuft sich auf nicht einmal 800 000 Einwohner. Dennoch ist das Land mit seinen endlosen, menschenleeren Ebenen und dem weiten Himmel von einer Art schwermütiger Schönheit. Montana nennt sich das Land des Big Sky – zu Recht. Bisher hatte der Himmel für mich immer eine feste, unveränderliche Größe gehabt, aber hier schien er mindestens um das Zehnfache gewachsen zu sein. Der Chevette war ein winziges Staubkorn unter einer gigantischen weißen Kuppel. Dieser gewaltige Himmel ließ alles zwergenhaft erscheinen.
Der Highway führte durch ein
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