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Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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großes Reservat der Crow-Indianer, doch von Indianern war weit und breit nichts zu sehen. Hinter Lodge Grass und Wyola passierte ich zum zweiten Mal die Staatsgrenze von Wyoming. Die Landschaft blieb unverändert. Allerdings schien man hier mehr Viehzucht zu treiben, und auf der Karte wimmelte es wieder von so unterhaltsamen Namen wie Spotted Horse, Recluse, Crazy Woman Creek und Thunder Basin.
    Ich erreichte Buffalo. 1892 war die Stadt der Schauplatz des berühmten Johnson County War – der Krieg, der als Vorlage für den Film Heaven’s Gate diente. Die Bezeichnung »Krieg« ist allerdings eine maßlose Übertreibung der Geschehnisse. Die einheimischen Rancher hatten damals über die Viehzüchtervereinigung von Wyoming eine Schlägerbande angeheuert und sie beauftragt, einige der Heimstättensiedler zusammenzuschlagen, die seit kurzem auf legale Weise in das Johnson County strömten. Als die Schläger einen Mann töteten, setzten sich die Siedler zur Wehr. Sie trieben die Bande zu einer Ranch außerhalb der Stadt, die sie so lange umzingelten, bis die Kavallerie erschien und die zerknirschten Raufbolde sicher aus der Stadt geleitete. Und das ist auch schon die ganze Geschichte: Ein Mann starb, und kaum eine Kugel wurde abgefeuert. So ging es damals wirklich im Westen zu, im Großen und Ganzen jedenfalls. Es waren eben alles Bauern.

    Als ich Buffalo erreichte, war es kurz nach vier am Nachmittag. Ich hatte gehofft, mir in der Stadt das Museum ansehen zu können, das sich mit dem Johnson County War beschäftigt, musste aber feststellen, dass es nur von Juni bis September geöffnet ist. Ich fuhr im Geschäftsviertel herum und spielte mit dem Gedanken, in Buffalo zu übernachten. Es war jedoch ein so schäbiges Kaff, dass ich beschloss, weiter zum siebzig Meilen entfernten Gillette zu fahren. Gillette war noch schlimmer. Ich fuhr ein Weilchen durch die Straßen und fand die Aussicht, einen Samstagabend dort verbringen zu müssen, so abschreckend, dass ich geradewegs weiterfuhr.
    So kam es, dass ich in Sundance landete, weitere dreißig Meilen östlich. Sundance ist die Stadt, deren Namen Sundance Kid annahm, und allem Anschein nach gab es sonst nichts, das sich in dieser Stadt zu nehmen lohnte. Sundance Kid wurde nicht in Sundance geboren, er verbrachte dort lediglich ein paar Jahre im Gefängnis. Es war ein kleiner, reizloser Ort mit nur einer Ein- und einer Ausfahrtsstraße. Ich nahm ein Zimmer im Bear Lodge Motel an der Main Street. Auf seine bescheidene Weise war das Zimmer recht komfortabel. Das Bett war weich, der Fernseher war an den privaten Spielfilmkanal HBO angeschlossen, und an der Toilettenbrille prangte ein Papierstreifen mit der Aufschrift »Zu Ihrem Schutz desinfiziert«. Auch das Restaurant an der gegenüberliegenden Straßenseite machte einen akzeptablen Eindruck. Natürlich würde ich dort nicht den Samstagabend meines Lebens verbringen, aber es hätte schlimmer kommen können. Und es kam schlimmer.
    Ich sprang unter die Dusche. Als ich mich anschließend wieder anzog, schaltete ich den Fernseher ein. Reverend Jimmy Swaggart erschien auf dem Bildschirm, ein Fernsehprediger, den man erst kürzlich mit einer Prostituierten beim Schäkern erwischt hatte, der alte Schlingel. Diese Affäre stellte seine Glaubwürdigkeit auf eine harte Probe, so dass er nun mehr oder weniger ständig damit beschäftigt war, über den Äther um Vergebung
zu bitten. So auch jetzt. Er flehte um Geld und Gnade in dieser Reihenfolge. Tränen rollten ihm glitzernd über die Wangen, als er mir beichtete, dass er ein elender Sünder sei. »Ganz deiner Meinung, Jimbo«, sagte ich und schaltete das Gerät aus.
    Ich trat auf die Main Street hinaus. Es war zehn vor sieben. Der Abend war mild, und aus dem Restaurant an der anderen Straßenseite wehte der Duft von gebratenen Steaks herüber und verfing sich in meiner Nase. Ich hatte den ganzen Tag nichts gegessen, und erst diese Duftwolke machte mich darauf aufmerksam, wie hungrig ich war. Ich strich glättend über meine nassen Haare, sah unnötigerweise in beide Fahrtrichtungen – auf diesem Highway rührte sich in beiden Richtungen innerhalb von 100 Meilen rein gar nichts – und überquerte die Straße. Ich öffnete die Tür und stellte erstaunt fest, dass das Restaurant bis unters Dach mit Shrinern gefüllt war.
    Die Shriner sind eine gesellschaftliche Vereinigung aus Männern mittleren Alters, die allesamt eine gewisse Veranlagung und Geisteshaltung vertreten – diese Art

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