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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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hingeworfen hatte. Dann schaute er zur dunkelgrünen Unterseite der Schnellstraße empor.
Die ganzen Salz- und Abgasgerüche, das Aroma von billigem Wein und der Angstschweiß des Jungen hingen wie eine dicke Wolke in der Luft.
Angie sah mich an, und ich nickte. Sie verschwand hinter dem Hügel zu unserer Linken, während ich Socia und Eugene bewachte. Wir wußten, daß oben auf der Schnellstraße niemand herumlungerte, weil wir auf dem Hinweg nachgesehen hatten. Auch war niemand auf dem Dach der UBahn-Station; das hatten wir gesehen, als wir die Böschung hinunterkletterten.
Socia sagte: »Nur ich und Eugene. Sonst keiner.«
Es gab eigentlich keinen Grund, ihm nicht zu glauben. In den drei Tagen war Socia schneller gealtert als Carter während seiner vier Jahre im Weißen Haus. Sein Haar war verfilzt. Die Kleidung hing an ihm herunter wie an einem Drahtbügel, auf dem teuren Leinen waren beigefarbene Flecken vom Essen. Seine Augen waren rosa, die Augen eines Crackheads, sie brannten vor Adrenalin und suchten die Dunkelheit. Die dünnen Handgelenke zitterten, und seine Haut war so blaß, als sei er gerade von einem Leichenbestatter zurechtgemacht worden. Seine Tage waren gezählt, und selbst er wußte, daß die Uhr für ihn schon abgelaufen war.
Als ich ihn ansah, verspürte ich einen kurzen Augenblick lang etwas Ähnliches wie Mitleid. Dann fielen mir wieder die Fotos in meiner Jacke ein, der dürre Junge, den er umgebracht hatte, ein gefühlloser Roboter, der sich mit den Gesichtszügen des toten Kindes aus der Asche erhoben hatte, seine Seele jedoch auf den befleckten Laken eines Motelzimmers verloren hatte. Mir fiel wieder die Kassette ein, auf der zu hören war, wie Anton das Auge aus der Höhle gerissen wird. Ich dachte an seine Frau, die an einem schönen Sommermorgen im Kugelhagel zu Boden ging, an die grenzenlose Resignation in ihren Augen. Ich dachte an seine Armee von Eugenes, die ihre glasigen Augen schlossen und unbedingt für ihn sterben wollten, die ihn ein- und ihre Seelen ausatmeten. Ich sah Marion Socia an. Es ging hier nicht um »schwarz« oder »weiß«. Allein das Wissen, daß es ihn gab, ließ mich die Welt hassen.
Er nickte in Richtung Eugene. »Wie findest du meinen Bodyguard, Kenzie? Ich pfeife aus dem letzten Loch, was?«
Ich schaute den Jungen an und konnte bloß erraten, was diese Worte hinter den getönten Gläsern anrichteten.
»Socia, du bist ein mieses Schwein«, sagte ich zu ihm.
»Ja, ja, ja.« Er griff in seine Tasche, und ich setzte ihm die .45 an den Hals.
Er blickte auf den Schalldämpfer herunter, der sich gegen seinen Adamsapfel drückte. »Glaubst du, ich bin bescheuert?« Er holte eine kleine Pfeife aus der Tasche. »Such’ nur Feuer.« Ich trat zurück, als er einen dicken Brocken aus der anderen Tasche nahm und ihn in die Pfeife steckte. Er zündete ihn an und zog mit geschlossenen Augen heftig daran. Mit einer Froschstimme fragte er mich: »Hast du sie mitgebracht?« Dann öffnete er die Augen wieder, das Weiße in ihnen flatterte wie ein schlechtes Fernsehbild.
Angie trat wieder neben mich, zusammen starrten wir ihn an.
Zischend drückte er den Rauch aus den Lungen und grinste. Dann reichte er die Pfeife an Eugene weiter. »Aaah. Was glotzt ihr so? Erschrecken sich die unterdrückten kleinen Weißen vor dem bösen schwarzen Teufel?« Er kicherte.
»Eigenlob stinkt, Socia«, erwiderte Angie. »Du bist kein böser Teufel, du bist eine Blindschleiche. Du bist noch nicht mal schwarz.«
»Was bin ich denn dann, Madame?«
»Ein Irrtum der Natur«, antwortete sie und schnippte ihm die Asche ihrer Zigarette vor die Brust.
Er zuckte mit den Achseln und wischte sich die Asche von der Jacke.
Eugene zog an der kleinen Pfeife, als sei es ein Schilfrohr, durch das er unter Wasser Luft bekam. Er reichte sie wieder Socia und legte den Kopf in den Nacken.
Socia klopfte mir auf die Schulter. »Hey, Junge, jetzt gib mir mal, weswegen ich hier bin. Bringen wir uns vor dem verrückten Hund in Sicherheit.«
»Verrückter Hund? Socia, du hast ihn dazu gemacht. Du hast ihn splitternackt ausgezogen, und als er zehn war, kannte er nur noch Haß.«
Eugene verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen und blickte Socia an.
Socia schnaufte verächtlich und zog an der Pfeife. Langsam rollte der Qualm aus seinen Mundwinkeln. »Was weißt du überhaupt, weißer Junge? Ha? Vor sieben Jahren hat mir diese Nutte den Jungen weggenommen, wollte ihm alles über Jesus beibringen und wie man sich für

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