Streng vertraulich
trinken, bevor ich dich abknalle.« »Kenzie«, fing er wieder an und klang plötzlich müde. »Ich
kann dich kriegen, und ich kann deine Kollegin kriegen, die du
immer so anguckst, als ob sie alle Geheimnisse der Welt
hütet. Der Wahnsinnige mit dem Schießeisen ist auch nicht
mehr da, um dich zu schützen. Wenn du nichts machst, muß
ich dich holen.«
Jeder kann jeden kriegen. Wenn sich Socia nur noch das
eine Ziel setzte, dafür zu sorgen, daß meine Beerdigung ein
paar Tage oder ein paar Stunden vor seiner stattfand, dann
konnte ihm das durchaus gelingen. Ich fragte: »Was willst
du?«
»Die verdammten Bilder, Mann. Die retten uns beide den
Arsch. Ich sag’ Roland, wenn er mich oder dich umbringt, dann
kommen die Fotos nach draußen. Das will er ja gerade nicht,
daß die Leute sagen, Roland läßt es sich ins Zapfloch
machen.«
Was für ein Seelsorger. Der Vater des Jahres.
»Wo und wann?«
»Kennst du die Auffahrt zur Schnellstraße neben der
Columbia Station?«
Sie war zwei Häuserblocks entfernt. »Ja.«
»In ‘ner halben Stunde. Da drunter.«
»Und dann laßt ihr mich beide in Ruhe?«
»Scheiße, ja. Können wir beide noch ‘ne Zeitlang
weiteratmen.«
»In ‘ner halben Stunde.«
Wir holten die Bilder und die Pistolen aus dem Beichtstuhl. Die Fotos kopierten wir auf der Maschine, die Pastor Drummond im Keller stehen hatte. Dann legten wir die Originale wieder an ihren Platz und gingen zurück in meine Wohnung.
Angie trank eine große Tasse schwarzen Kaffee, und ich prüfte unsere Waffenausrüstung. Wir hatten noch die .357 mit zwei Schüssen, die .38 von Colin und die .38, die Bubba für uns besorgt hatte, dann die Neun-Millimeter und die .45 mit Schalldämpfer, die ich Lollipop abgenommen hatte. Außerdem lagen vier Granaten im Kühlschrank plus die zwölfkalibrige Ithaca.
Ich zog meinen Trenchcoat über, und Angie schlüpfte in ihre Lederjacke. Außer den Granaten nahmen wir alles mit. Bei Leuten wie Socia kann man nicht gründlich genug sein. »Verrückter vierter Juli«, bemerkte ich, dann verließen wir die Wohnung.
Ein Teil der I-93 verläuft über unsere Gegend. Darunter hat die Stadt für Notfälle drei Depots angelegt: für Sand, Salz und Schotter. Diese drei Hügel waren jeweils ungefähr sechs Meter hoch und unten ungefähr fünf Meter breit. Da Sommer war, wurden sie momentan nicht so oft gebraucht. Aber in Boston mußte man auf der Hut sein. Manchmal spielt uns Mutter Natur einen Streich und läßt Anfang Oktober einen Schneesturm herunterhageln, nur um uns zu zeigen, was eine Harke ist.
Man erreicht die Ecke entweder von der Straße, vom Hintereingang der Columbia/JFK-U-Bahn-Station oder von der Mosley Street aus, wenn es einem nichts ausmacht, durch ein paar Sträucher zu steigen und eine Böschung runterzuklettern.
Wir stiegen durch ein paar Sträucher, kletterten die Böschung runter und schoben Wolken von braunem Staub vor uns her, als wir unten ankamen. Wir gingen um einen grünen Stützbalken herum und kamen zwischen den drei Hügeln raus.
Socia stand in der Mitte, wo sich die Haufen zu einer Art verzerrtem Dreieck trafen. Neben ihm stand ein Jugendlicher. Die noch nicht ausgeprägten Wangenknochen und der Babyspeck verrieten mir sein Alter, obwohl er zu glauben schien, mit der durchgehenden Sonnenbrille und der Mütze auf dem Kopf sähe er alt genug aus, um einen Liter Scotch zu kaufen. Wenn er älter als vierzehn war, war das ganz schön hoch gegriffen.
Socia ließ die Arme seitlich am Körper herunterhängen, doch die des Jungen waren in den Taschen einer Footballjacke vergraben, er schlug mit ihnen immer wieder auf seine knochige Hüfte. Ich befahl ihm: »Nimm die Hände aus den Taschen.«
Der Junge sah Socia an, und ich wies mit der .45 auf ihn. »Welches Wort hast du nicht verstanden?«
Socia nickte. »Nimm sie raus, Eugene.«
Langsam kamen Eugenes Hände aus der Jacke; die linke war leer, in der rechten hielt er eine .38, die doppelt so groß wie seine Hand war. Er warf sie, ohne daß ich etwas gesagt hätte, auf den Salzhaufen und wollte seine Hände dann wieder in die Taschen stecken. Dann überlegte er es sich und hielt sie vor sich, als hätte er sie noch nie zuvor gesehen. Schließlich verschränkte er sie vor der Brust und scharrte mit den Füßen. Was er mit dem Kopf tun sollte, schien er auch nicht genau zu wissen. Mit den hastigen Bewegungen eines Nagetiers sah er zuerst mich an, dann Angie, dann Socia und blickte dann wieder auf die Stelle, wo er seine Waffe
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