Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
Vom Netzwerk:
und setzte ihn in den Stuhl vor das Fenster. Der
Vorhang war zugezogen, und als ich hinausging, machte ich
das Licht an. Sollte mich jemand von draußen beobachten,
würde Harold als meine Wenigkeit durchgehen. Obwohl ich
kleinere Ohren habe.
Ich kroch durch die Wohnung, holte meine Ithaca hinter der
Tür hervor und stieg die Hintertreppe hinunter. Das einzige,
was für absolute Feuerwaffenignoranten besser ist als eine
Automag, ist eine zwölfkalibrige Ithaca-Schrotflinte mit
Pistolengriff. Wenn man das Ziel damit nicht trifft, ist man
definitiv blind.
Ich trat in den Hinterhof, wobei ich mich fragte, ob sie
vielleicht zu zweit waren. Einer für vorne, einer für hinten. Aber das schien genauso unwahrscheinlich wie die Vorstellung, daß überhaupt jemand da war. Die Paranoia mußte unter Kontrolle
gehalten werden.
Ich sprang über ein paar Zäune, bis ich an die Straße
gelangte, dort schob ich die Ithaca unter meinen blauen
Trenchcoat. Ich überquerte die Kreuzung und ging hinter der
Kirche vorbei. Dort verläuft eine Straße in Richtung Norden.
Auf dem Weg traf ich ein paar Bekannte, denen ich knapp
zunickte, den Mantel mit einer Hand geschlossen haltend. Mit
einem Gewehr in der Hand macht man sich bei den Nachbarn
nicht gerade beliebt.
In meinen Basketballschuhen schlich ich geräuschlos zum
hinteren Teil des Schulhofs und drückte mich an der Wand
entlang, bis ich die erste Ecke erreichte. Ich befand mich an
der Kante des E; der Ort, wo ich die Gestalt gesehen hatte, lag
nur drei Meter von mir entfernt, um die Ecke, im Dunkeln. Ich
überlegte mir, wie ich mich nähern sollte. Einfach nur schnell
auf sie zugehen? Aber auf diese Weise stirbt man leicht. Sich
anrobben, wie es immer in den Kriegsfilmen gemacht wird?
Aber ich war mir ja noch nicht mal sicher, daß überhaupt
jemand da war, und wenn ich auf eine Katze oder zwei Kids
mit verknoteten Zungen zurobbte, konnte ich mich einen
Monat lang nicht mehr draußen sehen lassen.
Die Entscheidung wurde mir abgenommen.
Es war keine Katze, und es war kein jugendliches
Liebespaar. Es war ein Mann mit einer Uzi. Er trat aus der
Ecke hervor und richtete seine häßliche Waffe auf mein
Brustbein. Da vergaß ich, wie man atmet.
Er stand in der Dunkelheit und trug eine dunkelblaue
Baseballmütze, wie man sie bei der Marine trägt; auf den
Rand waren goldene Blätter gestickt, irgend etwas stand in
goldenen Lettern vorne drauf. Ich konnte nicht entziffern, was
es war, vielleicht hatte ich aber auch nur zuviel Angst, um mich
zu konzentrieren.
Er trug eine durchgehende schwarze Sonnenbrille. Nicht
gerade das Richtige, um gut zu sehen, wenn man im Dunkeln
auf jemand schießen will, aber auf diese Entfernung hätte
mich sogar Ray Charles ins Jenseits befördern können. Über seiner schwarzen Haut trug er schwarze Kleidung,
mehr konnte ich nicht über ihn sagen.
Ich wollte ihm gerade erzählen, daß diese Gegend nicht
gerade für ihre Höflichkeit gegenüber dunkelhäutigen
Nachbarn nach Sonnenuntergang bekannt war, als etwas
Schnelles, Hartes meinen Mund traf und etwas anderes, das
ebenfalls hart war, meine Schläfe. Und bevor ich das
Bewußtsein verlor, dachte ich noch: Auf Harold den Panda ist
auch kein Verlaß mehr.

6_____
    Während ich den Schlaf des Gerechten schlief, kam mich der Held besuchen. Er trug seine Uniform und in jedem Arm ein Kind. Sein Gesicht war rußverschmiert, Rauch quoll hinter seinen Schultern hervor. Die beiden Kinder weinten, doch der Held lachte. Er sah mich an und lachte. Und lachte. Kurz bevor ihm brauner Qualm aus dem Mund stieg, wurde das Lachen zu einem Geheul, und ich wachte auf.
    Ich lag auf einem Teppich. Soviel wußte ich. Über mir kniete ein weißgekleideter Mann. Entweder war ich in der Klapse, oder er war ein Notarzt. Neben ihm stand eine Tasche, und er trug ein Stethoskop um den Hals. Ein Notarzt. Oder ein äußerst echt wirkender Imitator. Er fragte: »Müssen Sie sich übergeben?«
    Ich schüttelte den Kopf und kotzte auf den Teppich. Eine Frau fing an, mich schrill in einem unbekannten Kauderwelsch anzuschreien. Dann erkannte ich es. Gälisch. Plötzlich schien sie sich zu erinnern, in welchem Land sie nun lebte, und wechselte in ein Englisch mit ausgeprägtem irischen Akzent. Das änderte auch nicht viel, aber wenigstens wußte ich jetzt, wo ich mich befand.
    Im Pfarrhaus. Die kreischende Todesfee war Delia, die Haushälterin von Pastor Drummond. Jeden Moment würde sie auf mich eindreschen. Der Notarzt sagte: »Pater?«, und ich

Weitere Kostenlose Bücher